
Migranten-quote in der politik? 21,2 millionen menschen kaum vertreten
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Migranten sind in der deutschen Politik stark unterrepräsentiert. Nur sechs von 335 Oberbürgermeistern haben hierzulande eine Einwanderervergangenheit. Die Geschichten zweier OBs mit
ausländischen Wurzeln zeigen, wie sehr die Politik von engagierten Migranten profitieren könnte. Wählt eine deutsche Metropole ihren neuen Oberbürgermeister, interessiert das meist nur
wenige Menschen über die Stadtgrenzen hinaus. Nicht so im vergangenen Jahr in Hannover: Als dort der türkischstämmige Belit Onay (Grüne) zum neuen Rathauschef gekürt wurde, blickte ganz
Deutschland auf die niedersächsische Landeshauptstadt. Denn die Grünen lösten nicht nur die SPD nach 70 Jahren Regentschaft ab - sie stellten auch den bundesweit ersten Oberbürgermeister mit
Migrationshintergrund. ANZEIGE Onay gehört auch knapp ein Jahr nach seinem historischen Amtsantritt zu einer absoluten Minderheit. Denn wie aktuelle Daten des "Mediendienstes
Migration" zeigen, haben derzeit nur sechs von insgesamt 335 Oberbürgermeistern in Deutschland einen Migrationshintergrund, also gerade einmal 1,8 Prozent. Zum Vergleich: In der
Bevölkerung liegt der Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund bei knapp 26 Prozent, das entspricht rund 21,2 Millionen. ANZEIGE Die Wissenschaftlerin Devrimsel Deniz Nergiz sagte dem
"Deutschlandfunk Kultur" 2018 zwar: "Als Cem Özdemir und Leyla Onur zum ersten Mal in den Bundestag gewählt wurden, war das natürlich eine Sensation, auch für die
Herkunftsländer. Aber mittlerweile gehört das dazu." Die aktuellen Zahlen offenbaren jedoch ein anhaltendes Defizit. "WEISSE MÄNNER" SPRECHEN ÜBER "WEISSE THEMEN"
"Grundsätzlich ist es gar nicht so, dass Menschen mit Migrationshintergrund kein Interesse an Politik haben. Das sieht man zum Beispiel in den sozialen Netzwerken oder an den
'Black Lives Matter'-Protesten", sagt Bürgermeister Onay im Gespräch mit FOCUS Online. Die politische Energie kanalisiere sich jedoch häufig nicht in Parteien, "oft fehlt
es dort generell an Diversität", meint er. ANZEIGE MEHR AUS DEM BEREICH PERSPEKTIVEN LifeCare-CEO wünscht sich "viele Regeln" für Deutschland - aber mit einem Kniff Sonntag,
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Zuwanderungsgeschichte wollen sich einbringen und tun dies auch überdurchschnittlich häufig. In der Politik landen sie jedoch selten. Oft sind es inoffizielle Hürden, die den Betroffenen die
politische Teilhabe erschweren. Ayten Dogan, eine kurdischstämmige Politikerin, beschrieb das Phänomen im Gespräch mit dem "Deutschlandfunk Kultur" so: "Man muss sich das
auch so vorstellen: Man kommt in einen Raum, also jetzt als Frau, und da sind nur Männer. Dann fühlt man sich doch auch – also ich fühl' mich komisch. Und so war das auch mit dem, dass
man irgendwo hinkommt, wo es einfach zu 100 Prozent weiße Menschen sind, wo über weiße Themen gesprochen wird." ANZEIGE Ähnlich argumentiert auch Onay. "Viele Parteien haben
festgefahrene Strukturen. Wenn man als Mensch mit Migrationsgeschichte und ohne Vorkenntnisse dazustößt, fühlt man sich oft wie ein Schüler in einer komplett neuen Klasse", sagt er. Der
OB kennt das Gefühl aus eigener Erfahrung: Als Jugendlicher trat er in die SPD ein, um sich politisch zu engagieren, konnte dort jedoch nie wirklich Fuß fassen. So verließ er die Partei
nach kurzer Zeit wieder. ANZEIGE ANZEIGE Erst wesentlich später, nach seinem Jurastudium, kam Onay durch eine "glückliche Fügung" zu den Grünen. Noch heute ist er Mitglied der
Umweltpartei, setzt sich in Hannover unter anderem für eine autofreie Innenstadt und bezahlbaren Wohnraum ein. Seine Schwerpunktthemen sind aber auch Integration, Vielfalt und Weltoffenheit.
PARTEIQUOTE FÜR MIGRANTEN? Onay ist einer der wenigen Menschen mit Migrationshintergrund, die es in der deutschen Politik nach oben geschafft haben. Aber wie gelingt zukünftig mehr
Zuwanderern dieser Schritt? Immerhin hat jeder vierte Deutsche eine Einwanderungsgeschichte, viele dieser Menschen haben türkische, polnische, russische, italienische oder rumänischeWurzeln.
ANZEIGE Eine mögliche Antwort lieferte Lars Holtkamp, Parteienforscher an der Fernuniversität Hagen, dem "Mediendienst Integration": "Eine Parteiquote für Migranten wäre der
schnellste Weg." Er zieht Parallelen zur Frauenquote, die die Grünen in den 80er Jahren einführten. Die Aktion habe andere Gruppierungen unter Druck gesetzt - heute hätten alle großen
Parteien eine Frauenquote umgesetzt oder zumindest angekündigt. Sicher könnte so der Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund, die sich politisch engagieren, steigen. Fraglich ist aber,
ob das Ticket in die hiesige Politik eine Quotenregelung sein sollte - oder nicht ein generelles Umdenken sinnvoller wäre. ANZEIGE ANZEIGE "MIGRATIONSHINTERGRUND IST FÜR MANCHE MENSCHEN
NICHT NORMAL UND KANN ZUR GEFAHR WERDEN" Für Onay ist es wichtig, dass Menschen mit Migrationshintergrund - wie er und seine Familie - die Stadt, in der sie leben, mitgestalten. Ein
rassistisch motivierter Mordanschlag bewegte den Grünen überhaupt erst dazu, in die Politik zu gehen. Als er gerade einmal zwölf Jahre alt war, zündeten Rechtsextremisten ein Wohnhaus in
Solingen an. Fünf türkischstämmige Menschen starben bei dem Brand. Onay lebte zu dieser Zeit mit seinen Eltern in Goslar, sie besaßen ein Restaurant und waren vielen Einheimischen bekannt.
ANZEIGE "Uns riefen Familienangehörige aus der Türkei an, aus Angst, uns könnte auch etwas zustoßen. Damals habe ich gelernt, dass ein Migrationshintergrund für manche Leute nicht
normal ist und dass er zur Gefahr werden kann", sagt der Oberbürgermeister. Damit Zuwanderungsgeschichten mehr zur "Normalität" werden können, müssen Menschen mit
Migrationshintergrund sichtbar sein - auch politisch. Für manche ist diese Vorstellung bereits Realität geworden. ANZEIGE So sagt der Bonner Oberbürgermeister Ashok Sridharan (CDU) im
Gespräch mit FOCUS Online: "2015 fanden es manche mutig, mich als Kandidaten aufzustellen. Ich habe aber das Gefühl, Migration wird allgemein immer mehr zur Normalität." Sridharans
Vater stammt aus Indien, 1957 kam er als Diplomat nach Bonn. Auch wenn der CDU-Politiker offiziell als Person mit Migrationshintergrund gilt, "fühle ich mich mehr als Bonner
Jung'", sagt er. In Bonn würden sich viele Menschen mit ausländischen Wurzeln engagieren, einige sogar für den Stadtrat kandidieren. ANZEIGE ANZEIGE Das könnte aber auch an der
internationalen Ausrichtung der Metropole liegen. "Früher hatte die Bundesregierung ihren Sitz in Bonn, heute sind wir die Stadt der Vereinten Nationen. Die Bonner und Bonnerinnen sind
internationale Gäste gewohnt. Und auch in Bonn selber leben Menschen aus über 180 Nationen. Ich glaube, in keiner anderen Stadt wäre ich vor fünf Jahren zum Oberbürgermeister gewählt
worden", sagt Sridharan. ANZEIGE Doch auch wenn die NRW-Metropole ein positives Beispiel abgibt - in vielen anderen deutschen Städten fühlen sich Zuwanderer politisch nicht vertreten.
Für manche Politiker hat sich die Debatte mit der Flüchtlingskrise sogar noch weiter zugespitzt. NEWSLETTER-WIDGET DAILY GENERISCH (ZUSATZ ZUM FAZIT-KASTEN APP) DIE WELT IST BESSER ALS IHRE
SCHLECHTEN NACHRICHTEN - FOCUS ONLINE VERSORGT SIE JEDEN FREITAG MIT DEN BESTEN GESCHICHTEN AUS DEM BEREICH PERSPEKTIVEN. ABONNIEREN SIE HIER KOSTENLOS DEN NEWSLETTER: "MENSCHEN MIT
AUSLÄNDISCHEN WURZELN WERDEN SEIT 2015 IMMER ÖFTER MIT PROBLEMEN ASSOZIIERT" So bemängelte Serap Güler, CDU-Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, im
"Deutschlandfunk Kultur" 2018, dass die Themen Integration und interkulturelle Öffnung seit 2015 fast ausschließlich nur noch mit Flüchtlingen in Verbindung gebracht werde.
"Und dementsprechend glaube ich, dass das nicht nur innerhalb der CDU, sondern gesamtgesellschaftlich eher eine Debatte ist, die nicht mehr so konstruktiv und so progressiv geführt
wird, wie es vor 2015 der Fall war." ANZEIGE Auch Hannovers Oberbürgermeister Onay nimmt eine solche "Verschiebung" wahr. "Die Flüchtlingskrise hat die Diskussion um
Menschen mit ausländischen Wurzeln verengt, sie werden immer öfter mit Problemen assoziiert. Dabei ist erstens nicht jeder von ihnen ein Geflüchteter, zweitens sind ihre Kultur, ihre Sprache
und ihr Migrationshintergrund letztlich nur ein Mosaikstein ihrer Persönlichkeit", sagt er. Onay ist überzeugt, dass die Politik von Menschen mit Migrationshintergrund profitieren
kann. ANZEIGE ANZEIGE Der türkischstämmige Oberbürgermeister sagt: "Ich denke schon, dass ich zum Beispiel auf das Thema Zuwanderung einen anderen Blick habe. Ich weiß, wie es hinter
den Kulissen aussieht, habe Freunde und Familienmitglieder mit ausländischen Wurzeln. Deswegen sind mir die Herausforderungen, aber auch die Vorteile, die Migranten mitbringen, sehr
bewusst." So setzt sich der Hannoverander Oberbürgermeister unter anderem für die Förderung der Muttersprache von Menschen mit Migrationshintergrund ein. ANZEIGE "Ich habe selbst
kein Wort Deutsch gesprochen, als ich in den Kindergarten gekommen bin, trotzdem habe ich die Sprache sehr schnell gelernt. Wir sollten die Muttersprache von Menschen mit ausländischen
Wurzeln als Schatz und nicht als Problem begreifen", sagt er. Mit seiner Nominierung als OB-Kandidat habe seine Partei ein "Zeichen gesetzt". Für Onay steht fest: "Eine
Gesellschaft und auch die Politik profitieren von Diversität. Sie werden produktiver, bunter." Das findet auch Bonns OB Sridharan: "Politik muss den Schnitt der Gesellschaft
abbilden, und da gehören Migranten einfach dazu", sagt er. ANZEIGE ANTEIL VON MENSCHEN MIT MIGRATIONSHINTERGRUND HAT SICH ERHÖHT Damit sich etwas ändert, könnte eine Migranten-Quote,
wie sie Parteienforscher Holtkamp vorschlägt, sicherlich eine Option sein. Onay und Sridharan zeigen jedoch, dass es auch anders gehen kann. Für den Hannoveraner OB braucht es mehr direkte
Ansprache auf verschiedenen Kanälen, um Migranten ins politische Boot zu holen. "Ich glaube, oft redet man an den Menschen vorbei. Sie wollen sich beteiligen, werden aber nicht
abgeholt", sagt Onay. ANZEIGE ANZEIGE Auch Noch-OB Sridharan meint im Gespräch mit FOCUS Online: "Es ist wichtig, auf Menschen mit ausländischen Wurzeln direkt zuzugehen, um sie
politisch besser einzubeziehen." Das kann in Form von Social-Media-Kampagnen, Schulbesuchen oder anderen kreativen Aktionen passieren, die sich direkt an Menschen mit
Zuwanderergeschichte richten. Fest steht, dass sich der Anteil von Personen mit Migrationshintergrund in Deutschland über die Jahre erhöht hat. 2019 hatten 40,4 Prozent aller Kinder unter
vier Jahren ausländische Wurzeln. Ob auch die politische Teilhabe steigen wird und mehr Menschen dem Beispiel von Sridharan und Onay folgen, muss sich zeigen. ANZEIGE DAS KÖNNTE SIE AUCH
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