Nach den rücktritten: wie geht's weiter bei thyssenkrupp?

Nach den rücktritten: wie geht's weiter bei thyssenkrupp?


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Die gegenseitigen Schuldzuweisungen gehen auch nach den vielen Rücktritten bei Thyssenkrupp Steel weiter. Wirtschaftsminister Habeck ist beunruhigt und ruft zu einem konstruktiven


Miteinander auf. Duisburg - Wie geht es weiter bei Thyssenkrupp Steel, Deutschlands größtem Stahlhersteller? Wie viele der 27.000 Arbeitsplätze werden nach der aktuellen Krise noch bestehen?


Die Lage scheint nach den Rücktritten von Vorständen und Aufsichtsratsmitgliedern verfahrener denn je. Wichtige Akteure wurden dennoch im Anschluss an die Rücktritte nicht müde, sich


öffentlich die Schuld an der Misere zuzuschieben. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck rief in einem Interview der „Rheinischen Post“ Arbeitgeber- und -nehmerseite zu einem vernünftigen


und konstruktiven Miteinander auf. Worum geht es? Die defizitäre Stahlsparte soll restrukturiert und verselbstständigt werden, unter anderem durch den Einstieg des tschechischen Milliardärs


Daniel Kretinsky, der bereits 20 Prozent hält. Über das Ausmaß der Restrukturierung und die finanzielle Ausstattung durch den Mutterkonzern auf dem Weg in die Selbstständigkeit wurde seit


Wochen zwischen der Konzernführung und dem Stahl-Management heftig gestritten. Am Donnerstag war bekanntgeworden, dass Stahlchef Bernhard Osburg, die Produktionsvorständin und der


Personalvorstand hinwerfen und das Unternehmen mit sofortiger Wirkung verlassen. Auch vier Steel-Aufsichtsratsmitglieder kündigten die Niederlegung ihrer Mandate an. Darunter ist auch der


bisherige Vorsitzende Sigmar Gabriel. In seiner letzten Pressekonferenz als Chefaufseher der Sparte am Donnerstag warf er Thyssenkrupp-Vorstandschef Miguel López eine Diffamierungs-Kampagne


gegen den Stahlvorstand vor. Dem Aufsichtsratsvorsitzenden des Mutterkonzerns Thyssenkrupp, Siegfried Russwurm, warf er indirekt Tatenlosigkeit vor. CHEFAUFSEHER RUSSWURM ERHEBT SCHWERE


VORWÜRFE Der reagierte prompt. Noch am Abend der Rücktritte übte Russwurm massive Kritik am Management der Stahltochter. Dem Steel-Management sei es trotz aller anerkennenswerter


Anstrengungen seit Jahren nicht gelungen, erfolgreich Antworten auf die strukturellen Herausforderungen des Stahlgeschäfts und seine betriebswirtschaftlichen Schwierigkeiten zu geben,


erklärte Russwurm in einer Mitteilung. Der Manager ist auch Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI). „Die wochenlange, öffentliche Demontage des Stahl-Vorstands durch den


CEO der Thyssenkrupp AG, Miguel López, war und ist verantwortungslos“, erklärte dagegen der Konzernbetriebsratsvorsitzende der Thyssenkrupp AG, Tekin Nasikkol, am Freitag. Niemand im Stahl


könne nachvollziehen, warum die Mehrheit des Vorstands ausgetauscht werde. Man verliere dadurch Expertise, Integrität und ein vertrauensvolles Miteinander. BETRIEBSRAT: VERUNSICHERUNG IST


MAXIMAL GROSS Der oberste Arbeitnehmervertreter im Konzern sieht die Zukunft der Stahlsparte in Gefahr. „Die Verunsicherung in der Belegschaft ist maximal groß. Die Sorge um die eigene


Zukunft und die des Unternehmens ist überall spürbar“, so Nasikkol, der auch Gesamtbetriebsratschef des Stahlbereichs ist. Von den 27.000 Beschäftigten arbeiten allein 13.000 in Duisburg.


Der Betriebsrat befürchtet im Zuge der Restrukturierung eine „Halbierung der Hütte“ und den Abbau Tausender Arbeitsplätze. Habeck äußerte sich beunruhigt. „Die Situation bei Thyssenkrupp hat


sich auf allen Seiten sehr unversöhnlich zugespitzt. Das ist kein guter Zustand“, sagte er „Rheinischen Post“ (Samstag). „Alle Beteiligten tragen große Verantwortung für die Mitarbeitenden


und die Standorte des Traditionsunternehmens und auch für den Stahlstandort Deutschland insgesamt.“ Sie müssten deshalb dafür sorgen, dass das Unternehmen jetzt schnell in ruhiges und


stabiles Fahrwasser komme. Voraussetzung dafür sei „nicht zuletzt ein vernünftiges und konstruktives Miteinander von Arbeitgeber- und -nehmerseite.“ Der Streit hatte sich zugespitzt, nachdem


der Stahl-Vorstand intern einen Plan für einen Kapazitätsabbau vorgelegt hatte. Auch ein Stellenabbau war darin vorgesehen, ohne dass bislang Einzelheiten bekannt wurden. Auf


betriebsbedingte Kündigungen sollte dabei wie in der Vergangenheit auch verzichtet werden. Vorgesehen ist auch ein Verkauf der Hüttenwerke Krupp Mannesmann in Duisburg mit gut 3000


Beschäftigten, an dem Steel die Hälfte der Anteile besitzt. Die Pläne waren dem AG-Vorstand jedoch zu teuer. López warf dem Stahlvorstand öffentlich „Schönfärberei“ vor. Der Streit


eskalierte wochenlang und gipfelte schließlich in den Rücktritten. Besorgniserregend sei die Situation vor allem vor dem Hintergrund der großen Herausforderungen und Projekte, betonte


Nasikkol. Der Betriebsrat verwies in diesem Zusammenhang auf den bereits begonnenen Bau einer Direktreduktionsanlage für eine klimaschonendere Herstellung von Stahl. Die Anlage soll später


mit klimaneutral erzeugtem Wasserstoff betrieben werden und einen Hochofen ersetzen. Bund und Land NRW fördern Bau und Betrieb mit rund zwei Milliarden Euro. HABECK WILL FORTSETZUNG DER


STAHL-TRANSFORMATION Habeck forderte, trotz der aktuellen Schwierigkeiten den subventionierten ökologischen Umbau der Stahlsparte fortzuführen. „Bund und Land haben konkrete Unterstützung


zur Sicherung des Stahlstandortes Duisburg und Nordrhein-Westfalen geliefert.“ Die Unternehmensseite müsse aber eben auch ihren Teil beitragen, damit die Transformation gelinge und eine


zukunftsfähige Stahlproduktion am Wirtschaftsstandort Deutschland gesichert werde. Die Muttergesellschaft erklärte nach den Rücktritten, dass die verbliebenen Vorstandsmitglieder Dennis


Grimm (Technik) und Philipp Conze (Finanzen) die Geschäfte des Stahlsegments weiterführen würden. „Die Nachbesetzung der vakanten Positionen wird in einem strukturierten Prozess zeitnah


erfolgen“, hieß es. Die vakanten Ressorts werden in der Zwischenzeit aufgeteilt. Grimm übernehme die Funktion des Vorstandssprechers. Über die Nachbesetzung der vakanten Aufsichtsratssitze


sowie über die Nachfolge von Sigmar Gabriel als Vorsitzendem des Aufsichtsrats solle kurzfristig entschieden werden. dpa