
Alten-doku im ersten: fleischhacken gegen den rentnerfrust
- Select a language for the TTS:
- Deutsch Female
- Deutsch Male
- Language selected: (auto detect) - DE
Play all audios:

------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Ihr
Werkzeug ist das Messer, ihr Einsatzgebiet erstreckt sich potentiell über den Globus. Zurzeit steht Irene Honegg-Mülhaupt zwischen Schweinehälften und Rinderbrocken in einem gekachelten
Keller von Kigali/Ruanda und fühlt sich in ihrem Element. "Mein Leben ist Fleisch und Wurst. Und das wird so sein bis zu meinem Tod", schwört die 65-Jährige, die bis vor kurzem
noch eine eigene Schlachterei in Waldshut/Baden-Württemberg geführt hat. Doch nachdem die ältere Dame das eigene Geschäft dem Sohn überschrieben hatte, sehnte sie sich nach neuen Aufgaben.
Die fand sie nun durch den Senior-Experten-Service (SES) in Bonn, der Rentner aus unterschiedlichen Berufen an hilfsbedürftige Betriebe in der ganzen Welt vermittelt. Ruanda ist der erste
Auftrag für sie; hier soll die Metzgerin einer deutschen Witwe unter die Arme greifen, die das Fleischgeschäft ihres verstorbenen Mannes nicht alleine organisiert bekommt. Honegg-Mülhaupt
lebt sich schnell ein in Afrika, auch wegen der netten neuen Kollegen, mit denen sie sich auf Englisch, Französisch, Deutsch und Suaheli zu verständigen versucht. "Die Schwarzen",
sagt sie und schaut kurz in die Kamera, "genießen es, dass auch mal eine Frau ein Messer in die Hand nimmt." Dann schneidet, klopft und sägt sie mit dem Rest des Personals beherzt
weiter an den Fleischstücken herum. Wer Arbeit hat, ist eigentlich nirgendwo richtig fremd. Wer keine Arbeit hat, wird hingegen manchmal auch im eigenen Leben nicht so recht heimisch. Die
Filmemacherinnen Susanne Kammermeier und Wilma Pradetto haben eine schöne unaufgeregte Reportage darüber gedreht, wie es sich anfühlt, trotz Pensionsanspruch noch einmal loszulegen. Vier
ganz unterschiedliche ältere Menschen mit neuem Beruf oder neuer Berufung haben sie durch deren umgekrempeltes Leben begleitet. Ohne Aufgabe, ohne Vision, ohne Traum gar geht es eben nicht,
auch nicht jenseits der 60. Heide Meyer, ebenfalls 65, hat auch so einen Traum, nämlich allen Kundinnen den richtigen Büstenhalter zu verkaufen. "60 Prozent tragen den falschen",
weiß sie aus Erfahrung, denn seit fast einem halben Jahrhundert verkauft sie in Berlin Unterwäsche. Erfolgreich führt sie eine eigene Boutique, gelegentlich richtet sie auf dem Bürgersteig
vor dem Laden Dessous-Schauen für die Nachbarn aus. Nach und nach soll eine jüngere Mitarbeiterin Frau Meyers kleines Miederwarenimperium übernehmen; gemeinsam plant man aber erstmal noch
die Expansion nach Hamburg. Mit dem Essen auf Rädern hat es bei den älteren Herrschaften in "Aus Erfahrung gut" also noch Zeit, trotzdem will man den Nachgewachsenen nicht den
Platz streitig machen. Auf die aufgeregten Debatten, die zurzeit in Anbetracht einer alternden Gesellschaft toben, wirkt der Neunzigminüter mit seinem langen ruhigen Atem geradezu wie ein
Antihysterisierungsprogramm. Die Alten, so die Erkenntnis des Filmes, könnten noch etwas wuppen, was auch den Jungen zugute käme. Nein, nicht etwa deshalb, weil sich die Rentner für die
nachfolgende Generation aufopfern würden, sondern weil sie sich vielmehr ganz eigennützig ins Zeug legen und die durch die Rente gewonnene Freiheit dazu nutzten, lang gehegte Pläne zu
verwirklichen. ABENTEUERLUSTIG GEGEN DIE ÜBERALTERUNGSPANIK Dass das dann noch der Allgemeinheit hilft, kann eben vorkommen. So wie zum Beispiel auch bei dem verrenteten Ingenieur Jörg
Pfeifer, der seit drei Jahren erfolgreich für den Alpenverein eine Berghütte in 2800 Metern Höhe führt, die kurz vor ihrer Schließung stand. Seinen alten Job hat er noch an den IT-Nachwuchs
verloren, jetzt nimmt Herr Pfeifer via Satellit Online-Buchungen für Übernachtungen auf dem Computer vor. Seine technischen Kenntnisse von früher indes helfen bei der Reparatur der alten
Lastseilbahn und bei der Erschließung neuer Schmelzwasserquellen. Schon mit der Themenwoche "Chancen einer alternden Gesellschaft" im Frühjahr hatte die ARD ja mit zum Teil sehr
abenteuerlustigen Beiträgen auf die Überalterungspanik im Land reagiert vielleicht auch nur deshalb, wie man böse unterstellen könnte, weil man die eigene reifere Klientel damit froh
stimmen wollte. An der Richtigkeit eines solchen Unterfangens ändert das freilich nichts. Klar, auch die SWR-Doku "Aus Erfahrungen gut" fokussiert nun auf positive Erfahrungen des
Altwerdens und klammert die schlechten weitgehend aus. Falschen Illusionen aber gibt sich trotzdem keiner der anpackenden Protagonisten hin. Mit dem Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit
hat sich bei ihnen jedoch ein erstaunlich genaues Gespür für die eigenen Möglichkeiten entwickelt. Der Tod ist dabei immer ein offen besprochenes Thema auch deshalb wohl, damit die Angst
vor ihm nicht unterbewusst die eigene Schaffenskraft lähmt. Eine der tatkräftigen Rentnerinnen hat sich jedenfalls schon mal eine Grabstätte in bester Gesellschaft organisiert. "Auf dem
Friedhof, auf dem ich liegen werde", so schwärmt sie, "werden auch Feste gefeiert. Wenn ich erstmal da bin, gehts mir gut." Metzgerin Honegg-Mülhaupt sieht es ein bisschen
weniger esoterisch und wünscht sich einfach nur, wenn es denn soweit sein sollte, einen schnellen Tod: "Ich will, dass jemand den Stecker zieht." Bis dahin warten allerdings noch
einige Schweinehälften auf sie. ------------------------- "AUS ERFAHRUNG GUT DIE SENIOR-EXPERTEN", 22.45 Uhr, ARD