
Kate mccann: die mutter, der keiner mehr glauben wollte
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- Was kann es Schlimmeres für eine Mutter geben, als ihr Kind zu verlieren? Zermürbende Vorwürfe, quälende Zweifel, Trauer ohne Ende. Es ist wie ein Alptraum, der Wirklichkeit wird. Im Fall
Madelaine McCann kam es schlimmer. Mutter Kate wurde wegen dubioser Gerüchte plötzlich zur Verdächtigen - ohne dass es irgendwelche Beweise gab. Es ist kaum zu ermessen, was Kate McCann seit
jenem 3. Mai 2007 durchgemacht hat - dem Tag, an dem Madeleine verschwand, ihre vierjährige Tochter mit dem freudestrahlenden Gesicht, mit den unverwechselbaren blauen Augen. Kate McCann
hat ein Jahr in penetranter Öffentlichkeit hinter sich, einer Öffentlichkeit, die sie und ihr Mann Gerry selbst gesucht haben. Anfangs wurde die Mutter noch mit Anteilnahme und Mitgefühl
überschüttet. Dann wendete sich das Blatt. Rückblick: Für das Ehepaar McCann ist es ein kurzweiliger, fröhlicher Abend mit Freunden in einer Ferienanlage im portugiesischen Praia da Luz an
der Algarve. Es gibt Wein und Tapas. Die drei Kinder der McCanns - die dreijährige Madeleine und ihre zweijährigen Zwillingsgeschwister - schlafen im Appartement. Zwar keine 80 Meter weit
von der Bar entfernt, aber unbeaufsichtigt. Um 22 Uhr bemerkt das Ärztepaar aus Rothley in der Grafschaft Leicestershire, dass Madeleine weg ist. Der Alptraum beginnt. Noch in der Nacht ruft
die streng katholische Kate McCann Familienpriester Paul Seddon an. Er hatte Madeleine getauft, als sie ein Jahr alt war. Die sonst disziplinierte Medizinerin ist außer sich, so wird es der
Theologe später erzählen. Immer wieder fleht sie ihn an, für das Mädchen zu beten. Der Glaube war bereits in der Vergangenheit ein Halt für die gottesfürchtige Kate McCann. Lange Zeit hatte
sie auf ihr Wunschkind Madeleine warten müssen. Jetzt klammert sie sich an die Religion. "Die Hoffnung ist alle Kraft wert", sagte sie in einem kürzlich erschienenen Interview mit
"Super Illu". Der nächtliche Anruf ist ein erster Hilfruf. Viele weitere werden folgen, sie werden um den Globus gehen, sie werden den Fall Maddie weltbekannt machen. WARUM
POLARISIERT EINE FRAU WIE KATE MCCANN? Kate McCann - hohe Wangenknochen, ausgeprägter Mund mit eindrucksvoll geschwungenen Lippen, scheuer, manchmal durchdringender Blick - stammt aus armen
Verhältnissen in Liverpool. Die Musterschülerin schuftet sich nach oben, studiert Medizin und lernt als junge Anästhesistin ihren Mann Gerry kennen, einen ehrgeizigen Schotten am Glasgower
Krankenhaus. 1998 heiraten die beiden Mediziner. Nach künstlicher Befruchtung kommt 2003 Madeleine zur Welt, zwei Jahre später die Zwillinge Amelie und Sean. Kate und Gerry gelten in ihrem
Umfeld als "Seelenverwandte", als Traumpaar voller Ehrgeiz und Willenskraft. Als dann an jenem 3. Mai 2007 ihre Tochter verschwindet, zögern sie nicht mehr lange. Sie schalten in
einer beispiellosen Medienoffensive die Öffentlichkeit ein. Diese stürzt sich erwartungsgemäß auf den mysteriösen Kriminalfall. Die Welt leidet mit dem sympathischen Ärztepaar. Mutig und
entschlossen treten die McCanns vor die Mikrofone, beantworten ungewohnt ausführlich Fragen, organisieren ein weltweites Kampagnennetz. "MACHEN SIE IHR KEINE ANGST" Doch nach
einiger Zeit bricht das Bild, das sich die Öffentlichkeit von dem Ehepaar macht - vor allem von Kate McCann. Die Mutter wirkt vor laufenden Kameras und im Blitzlicht der Fotografen oft wie
erstarrt. Madeleines Schmusekatze fest in der linken Hand, tritt sie stets extrem gefasst vor die Weltöffentlichkeit. Strikt verkneift sie sich Tränen. Ihr Gesicht wirkt oft steinern, ihre
Gesten kontrolliert, ihre Trauer beherrscht. Selbst als sie mögliche Entführer um Gnade bittet, spult sie ihren Text herunter. Nur einmal bricht ihre Stimme: "Bitte verletzen Sie sie
nicht. Machen Sie ihr keine Angst." Der Druck auf die portugiesischen Ermittler erhöht sich mit den Wochen drastisch. Und auf einmal tauchen dubiose Hinweise darauf auf, dass Kate
McCann Schuld am Verschwinden ihrer Tochter haben könnte. Von einem Tagebuch ist die Rede. Ihm habe Kate McCann anvertraut, dass sie mit der Erziehung Madeleines und deren jüngeren
Zwillingsgeschwistern überfordert sei. Das Dementi der Polizei, den Ermittlern liege gar kein Tagebuch vor, geht in der Berichterstattung fast unter. Dann tauchen Gentests auf, die belegen
sollen, dass das Mädchen mehr als drei Wochen nach ihrem Verschwinden im Mietwagen ihrer Eltern transportiert wurde. Nach vier Monaten erklärt die Polizei Kate McCann zur Verdächtigen. KATE
MCCANN UNTER VERDACHT Je häufiger man Kate McCann in der Folgezeit vor den Kameras sieht, meist neben ihrem genauso professionell auftretenden Mann, desto stärker wendet sich die
Öffentlichkeit von ihr ab. Auf einmal traut man der 39-Jährigen alles zu. Eine von vielen Theorien: Sie soll die aufgeweckte Maddie mit Beruhigungsmitteln ruhiggestellt und das Mädchen aus
Versehen getötet haben. Der Verdacht kommt auf, sie habe alleine oder mit ihrem Mann Madeleine beseitigt. 16 Stunden lang wird Kate McCann verhört. Angeblich versuchen Ermittler, ihr ein
Geständnis abzuringen. Die Ermittlungen ergeben: Entweder ist Maddie Opfer einer Entführung geworden - oder durch einen Unfall gestorben, vielleicht verursacht von ihren Eltern. Für beide
Versionen gibt es keine Beweise. Auch die Recherche einer von den McCanns beauftragten Detektei verläuft ergebnislos. Die Vorwürfe, schuld an Madeleines Verschwinden zu sein, gar ihr Leben
auf dem Gewissen zu haben, treffen die McCanns nach eigenen Angaben schwer. Doch sie lassen sich nach außen nichts anmerken. Mit wohlformulierten Statements wiegeln sie die Anschuldigungen
ab - bis heute. "Unschuld kann man nicht beweisen, Schuld kann man beweisen", teilten sie vor wenigen Tagen in "Super Illu" mit. "Wir aber sind unschuldig. Es gibt
absolut keine Beweise, die nahelegen, dass wir mit dem Verschwinden Madeleines etwas zu tun haben." NIE VERLIERT SIE DIE CONTENANCE Stoisch, getrieben vom Wunsch nach Aufklärung haben
die McCanns eine gigantische Suchmaschinerie in Gang gesetzt. Sie sind um die Welt gereist, wurden sogar zu Papst Benedikt XVI. in Rom vorgelassen, und "selbstverständlich wirkte es
nicht natürlich, wie sie gesprochen haben", sagt Kate McCanns Schwager John. "Es war einstudiert." Nur so hätten sie ihre Statements am Stück geben können. Vor jedem Auftritt
hätten sie um Fassung gerungen. Gefühle unterdrückt, damit sich mögliche Entführer nicht daran laben können. Seit September leben die McCanns wieder auf ihrem großzügigen Anwesen "The
Orchard" in Rothley. Gerry McCann arbeitet wieder als Kardiologe im Krankenhaus, Kate McCann widmet sich den dreijährigen Zwillingen und ihrem Glauben: "Meistens spreche ich zuerst
ein kurzes Gebet, dann sind meine Gedanken ganz bei Madeleine. Dann sage ich zu mir: Kate, los jetzt, du hast noch zwei Kinder, unsere Zwillinge, um die du dich auch kümmern musst."
Die Eltern sagen, dass sie fest daran glauben, dass Madeleine noch lebt. "Wir hoffen, sie so schnell wie möglich zu finden, bevor sie vergisst, dass wir ihre Eltern sind." An
diesem Samstag, dem Jahrestag von Maddies Verschwinden, haben sie an einem Gedenkgottesdienst in Rothley teilgenommen. Danach verließen sie die Kirche. Kommentarlos. Angehörige sprachen an
ihrer Stelle. Sie sagten, Kate McCann danke für die Gebete und die Unterstützung. Der Gottesdienst sei den Eltern ein großer Trost gewesen.