Artilleriegefecht: asien fürchtet sich vor neuem korea-krieg

Artilleriegefecht: asien fürchtet sich vor neuem korea-krieg


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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Auf der


koreanischen Halbinsel geht wieder das Gespenst des Krieges um. Der letzte liegt rund 60 Jahre zurück: Fast eine Million Soldaten und drei Millionen Zivilisten starben in dem dreijährigen


Konflikt, der 1950 mit dem Angriff Nordkoreas auf den Süden begann. Mit dem Waffenstillstand wurden die beiden Staaten entlang des 38. Breitengrads voneinander getrennt. Die Grenze gilt


seither als die gefährlichste der Welt. Das jüngste Artillerieduell schürt nun die Ängste vor einem erneuten Waffengang. Beide Länder streiten über die Schuld an dem Gefecht, die


Nachbarstaaten reagieren erschreckt. Südkorea hat inzwischen seine Truppen mobilisiert. Im schlimmsten Fall könnte ein neuer Waffengang in einen Atomkrieg münden. Es wäre ein äußerst


ungleicher Kampf: Eine zahlenmäßig große Armee stünde einer deutlich kleineren, dafür aber technologisch hochgerüsteten Streitmacht gegenüber. Nordkorea gilt als das am stärksten


militarisierte Land der Welt. Seine Armee umfasst rund 1,2 Millionen Soldaten. Damit ist sie die viertgrößte Streitmacht der Welt - hinter China, Indien und den USA und noch vor Russland.


Zudem hat der kommunistische Staat die Zahl seiner Soldaten in Spezialeinheiten, die im Kriegsfall die Speerspitze eines Angriffs bilden würden, erst im vergangenen Jahr auf 180.000


verdoppelt - und besitzt damit die größte Zahl an Spezialeinheiten weltweit. Das Militärbudget ist - gemessen an den Mitteln des bitterarmen Landes - gewaltig: Es umfasst nach Angaben des


US-Außenministeriums rund sechs Milliarden Dollar (4,4 Milliarden Euro), was mehr als einem Viertel des Bruttoinlandsprodukts Nordkoreas entspricht. Allerdings gilt die Koreanische


Volksarmee im Vergleich zur nur 687.000 Mann starken Armee Südkoreas als rückständig und schlecht ausgerüstet. Die konventionellen Waffensysteme wie Flugzeuge, Panzer und Artillerie befinden


sich weitgehend auf dem Stand der sechziger und siebziger Jahre. Angesichts der wirtschaftlichen Lage Nordkoreas überrascht das kaum: Da die Regierung kaum aus eigener Kraft die eigene


Bevölkerung versorgen kann, hat sie auch kein Geld für eine umfassende Modernisierung der Streitkräfte. Zudem ist seit 2006 ein internationales Waffenembargo in Kraft, das größere Einkäufe


von Rüstungsgütern nahezu unmöglich macht. NUKLEARE ABSCHRECKUNG EXISTIERT BEREITS Bei den wenigen Hightech-Waffen handelt es sich vor allem um Prestigeprojekte wie das Atomwaffenprogramm.


Militärexperten schätzen, dass Nordkorea spaltbares Material für zwei bis neun Atombomben des Hiroshima-Typs besitzt. Ein erster Atombombentest im Oktober 2006 wurde von westlichen Experten


noch als gescheitert gewertet. Doch am 25. Mai 2009 ließ das Regime in Pjöngjang eine weitere Bombe detonieren. Diesmal erreichte die Sprengkraft 10 bis 20 Kilotonnen TNT - was in etwa der


Zerstörungskraft jener Bomben entspricht, die im Zweiten Weltkrieg Hiroshima und Nagasaki verwüstet haben. Fotostrecke Korea-Konflikt: Eskalation im Gelben Meer Foto: REUTERS / Yonhap Der


25. Mai 2009 sei auch entscheidend für die Interpretation des Artillerieduells um die Insel Yeonpyeong, meint der Heidelberger Politikwissenschaftler Sebastian Harnisch. "Seit dem


Atombombentest hält sich das Regime in Pjöngjang für unangreifbar - und zwar zu Recht." Denn die bislang offene Frage, ob Nordkoreas Atomwaffen tatsächlich einsetzbar sind, spiele kaum


eine Rolle. "Entscheidend ist, ob die umliegenden Staaten an die Einsatzfähigkeit glauben oder nicht", so Harnisch. "Und dort herrscht die Meinung vor, dass man es lieber


nicht ausprobieren möchte. Deshalb ist der Abschreckungseffekt bereits vorhanden" Daher fühle sich Nordkorea sicher genug, den Süden und indirekt die USA immer wieder herauszufordern -


vor allem aus innenpolitischen Gründen. Das Artilleriegefecht passe damit zur Versenkung der südkoreanischen Korvette "Cheonan". "Es war wahrscheinlich nicht die eigenmächtige


Tat eines lokalen Kommandeurs, sondern ein radikaler Teil der Provokations- und Erpressungsstrategie des Nordens", so Harnisch. Deshalb sei von einer "begrenzten Aktion"


auszugehen. "An einer weiteren Eskalation kann Nordkorea kein Interesse haben." KEINE SEITE HAT INTERESSE AM KRIEG Denn ein umfassender bewaffneter Konflikt wäre für den Norden


kaum zu gewinnen. Allerdings sind sich Experten sicher, dass auch die USA und Südkorea an einem Krieg kein Interesse haben. "Washington und Seoul können das Regime in Pjöngjang nicht


beseitigen, ohne dabei verheerende Verluste zu erleiden", hieß es in einer 2007 veröffentlichten Studie des Strategic Studies Institute (SSI) der US-Armee. Das liegt freilich vor allem


an der zahlenmäßigen Stärke der nordkoreanischen Streitkräfte, die allerdings als wenig schlagkräftig gelten. So verfügt Nordkorea über rund 5000 Kampfpanzer und mehrere hundert amphibische


Panzer. Ein Großteil der Ausrüstung stammt aber noch aus der Sowjet-Zeit und ist modernisierungsbedürftig. Südkorea kann auf 2750 Kampfpanzer und rund 2800 gepanzerte Fahrzeuge


zurückgreifen, die als deutlich moderner gelten. Auch die Luftwaffe Nordkoreas ist hoffnungslos veraltet. Sie besteht aus rund 1600 zumeist chinesischen und russischen Modellen der sechziger


und siebziger Jahre, wie etwa die MiG-23, MiG-21 und MiG-19. Das modernste ist die rund 30 Jahre alte MiG-29: Schätzungen zufolge soll Nordkorea über 35 Exemplare des russischen Kampfjets


verfügen. Fraglich ist allerdings, wie viele davon aufgrund des Waffenembargos und der damit prekären Ersatzteil-Lage einsatzbereit sind. Die Südkoreaner dagegen besitzen rund 700


amerikanische Flugzeuge, darunter 173 F-16-Mehrzweckjets und 40 Jagdbomber des Typs F-15K "Slam Eagle", der sich in der Ausschreibung unter anderem gegen den Eurofighter


durchgesetzt hat. Die Luftwaffe Nordkoreas sei "kein Gegner" für Südkorea und die USA, meint Harnisch - sie wäre im Kriegsfall vermutlich schnell vernichtet. "Das Erringen der


Lufthoheit steht in der Planung der USA und Südkoreas ganz weit oben." ANGST VOR DER VERWÜSTUNG SEOULS An anderer Stelle aber könnte der Norden den Süden empfindlich treffen. Ganz oben


auf der Liste der Ziele steht die südkoreanische Hauptstadt Seoul, die nur rund 50 Kilometer von der Staatsgrenze entfernt ist - und damit innerhalb der Reichweite der nordkoreanischen


Artillerie liegt. Die Verwüstung Seouls mit konventionellen Waffen sei "Pjöngjangs glaubwürdigste Drohung", heißt es in der SSI-Studie. Da der Norden um seine technologische


Unterlegenheit weiß, basiert seine militärische Strategie vor allem auf asymmetrischer Kriegführung. Doch die beschränkt sich längst nicht nur auf die Störung von GPS-Geräten in


Präzisionswaffen oder das Anstreichen von Bodenzielen mit Radar-Tarnfarbe. So soll Nordkorea über ein gewaltiges Arsenal an chemischen und biologischen Waffen verfügen, die mit Raketen ins


Ziel gebracht werden können. Zu Nordkoreas Arsenal zählen mehr als 1800 Raketen unterschiedlicher Reichweite. Südkorea hat kürzlich neue Marschflugkörper mit einer Reichweite von 1500


Kilometern stationiert, die ganz Nordkorea erreichen könnten. Auch in Bereichen, in denen sich der Süden für klar überlegen hielt, sind offensichtlich Überraschungen möglich. Eine davon war


die Versenkung der "Cheonan", die das Vertrauen der Südkoreaner in ihre technologische Überlegenheit nachhaltig erschüttert hat. Nordkorea besitzt bis zu 70 U-Boote, darunter rund


20 Boote der russischen Romeo- und Whiskey-Klasse. Sie gelten als veraltet, laut und deshalb leicht zu orten. Dennoch wurde die "Cheonan" - eine 1989 in Dienst gestellte, moderne


Korvette - offenbar torpediert, und das während eines Manövers unter voller Kampfbereitschaft. "Für die südkoreanische Marine war das eine Katastrophe", sagt Harnisch. Die Medien


des Landes stellen inzwischen offen in Frage, ob die Marine den U-Booten des Nordens gewachsen ist. Außer den rund 70 U-Booten besitzt Nordkorea mehr als 600 weitere Kriegsschiffe, bei denen


es sich jedoch zum größten Teil um kleinere Küstenboote handelt. Größere Hochseeschiffe sind Mangelware: Nur drei Fregatten befinden sich in der Koreanischen Volksmarine. Der Süden verfügt


insgesamt über rund 170 Kriegsschiffe und ein Dutzend U-Boote. Unter dem Strich, so glauben Militärexperten, könne Nordkorea einen Krieg gegen den Nachbarn im Süden nicht gewinnen. Doch das,


argwöhnen die Autoren der Studie des Strategic Studies Institute, müsse nicht bedeuten, dass ein Krieg ausgeschlossen ist. Ob die Koreanische Volksarmee Erfolg haben könne oder nicht,


"spielt keine Rolle" - denn es sei die Wahrnehmung Nordkoreas, oder genauer: des Diktators Kim Jong Il, die letztlich über Krieg oder Frieden entscheide. "Wenn die Koreanische


Volksarmee den Befehl erhält, wird sie angreifen."