Bei der ölförderung wird oft erdgas verbrannt

Bei der ölförderung wird oft erdgas verbrannt


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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Schwarze


Rußwolken verdunkeln den Himmel über dem Nigerdelta. Riesige grelle Feuer schießen aus dem Boden, bis zu 30 Meter hoch. Manche brennen seit 40 Jahren. Kilometerweit sind sie zu sehen. Hier


steht Erdgas in Flammen. Tag und Nacht. Die Abgase machen den Regen so sauer, dass er die Wellblechdächer der Hütten zerfrisst. In den verschmutzten Gewässern schwimmen immer weniger Fische.


"Wenn wir Regenwasser in Kanistern sammeln, ist es schwarz vom Ruß und den Kohlenwasserstoffen. Man kann sich nicht einmal damit waschen, sonst juckt die Haut und schält sich",


klagt Emem Okon, die Mitte 40 ist und immer im Nigerdelta gelebt hat. Seit die Ölindustrie im Land boomt, tragen auch die Pflanzen weniger Früchte, weiß Okon. Hunger und Armut haben


zugenommen. Der Regen bleibt aus, wohl durch die enorme Rußbelastung, vermuten die Bewohner. Der Staub bildet eine schmutzige Glocke. Darunter staut sich die Sonnenwärme. Darüber hinaus


fließt Hunderte Male im Jahr Öl aus Pipelines und an Förderstellen in den Boden und in die Gewässer. Das Wasser enthält krebserregendes Benzol, wie eine Studie des Umweltprogramms der


Vereinten Nationen ergab. Sauberes Trinkwasser gibt es kaum. Weltweit werden jedes Jahr 150 Milliarden Kubikmeter Erdgas abgefackelt. Das ist so viel, wie die EU in vier Monaten braucht.


Rohstoff im Wert von 40 Milliarden US-Dollar. Und das, obwohl die bekannten Vorräte in spätestens 200 Jahren erschöpft sein werden und Konzerne deshalb bereits in immer entlegeneren Gebieten


gierig nach dem kostbaren Gas suchen. Doch beim Ölfördern ist den Unternehmen der flüchtige Rohstoff nur lästig. Sobald sie bohren, steigt unweigerlich auch Gas auf. Auf 1000 Liter


schwarzes Gold kommen 800 Kubikmeter Erdgas. Es abzutrennen und aufzubereiten würde Zeit und Geld für Anlagen und Personal kosten. Preiswerter lässt es sich an reinen Erdgaslagerstätten


gewinnen. Um das Gas an den Ölquellen loszuwerden, blasen die Ölmultis es deshalb einfach in die Luft - oder fackeln es ab. Wird es verbrannt, werden Kohlendioxid, Schwermetalle, Ruß,


Schwefel- und Stickoxide frei. Darunter leiden Anwohner und Natur. Das Ablassen des Erdgases ist dagegen noch schädlicher für das Erdklima als das Abfackeln. Denn der Hauptbestandteil des


Gases, das Methan, ist ein 23 Mal stärkeres Treibhausgas als Kohlendioxid. EIN UMWELTDESASTER UNVORSTELLBAREN AUSMASSES Die Gasverschwendung verursacht ein Umweltdesaster unvorstellbaren


Ausmaßes: Sie alleine macht zwei Prozent des energiebedingten Ausstoßes von Treibhausgas weltweit aus. Das ist so viel wie 77 Millionen Autos in einem Jahr freisetzen - so viele Automobile


wurden weltweit 2010 gebaut. Im Nigerdelta sind die Folgen besonders schlimm. Hier wachsen die größten Mangrovenwälder Afrikas. Ein undurchdringliches Labyrinth brauner, zum Teil überirdisch


verlaufender Wurzeln durchzieht den sumpfigen Grund Hunderte Kilometer weit. Bis in die 50er Jahre war die Region nahezu unberührt, denn das Dickicht der 20 bis 30 Meter hohen Mangroven


hielt die Menschen fern. Doch dann kamen die Ölförderer, bauten Kanäle und planierten Straßen in die Sumpflandschaft. Seither schillert das Wasser an vielen Stellen giftig-bunt vom


ausgelaufenen Öl. Die Blätter der Mangroven verwelken. Kahl wie Gerippe ragen Wurzeln und Äste aus dem braunen Schlamm. Seit den 80er Jahren wurde ein Viertel der Wälder vernichtet. Das


Niger-Zwergflusspferd, einst heimisch im Delta, ist vermutlich ausgestorben, viele seltene Affenarten sind bedroht: Schimpansen, die Nigeria-Blaumaulmeerkatze, die Rotbauchmeerkatze und der


Rote Stummelaffe. Die Fackeln und ihre Rauchschwaden an den Ölquellen sind so gigantisch, dass sie sogar vom All aus zu sehen sind: Bilder von Wettersatelliten zeigen einen Planeten,


gespickt mit Brandherden. Aus diesen Aufnahmen errechnen Forscher im Auftrag der Weltbank regelmäßig die Menge an vernichtetem Gas, brisante Daten, die die meisten Länder nicht


veröffentlichen. Bis 2011 stagnierte die abgefackelte Gasmenge, während die Ölfördermenge stieg. Denn Unternehmen in den Industrieländern begannen, das Gas an jenen Ölquellen zu nutzen, an


denen es sich leicht abfangen und aufbereiten ließ. Übrig blieben die schwierigen Fälle, und gerade diese werden immer zahlreicher. Ölkonzerne wie Shell, Chevron, Exxon Mobil und Total


bohren an immer exotischeren Orten und in über tausend Metern Meerestiefe nach Öl, wo die Aufbereitung des Gases schwerer fällt. Deshalb wird nun seit 2011 wieder mehr Erdgas als in den


Vorjahren abgefackelt. Als Emem Okon als junge Frau in den 90er Jahren im Nigerdelta von Dorf zu Dorf zog, um die Bewohner gegen das Militärregime zu mobilisieren, klagten sie ihr Leid über


die Gasfackeln. Ruß, Schwermetalle, Schwefeloxide und giftige Kohlenwasserstoffe - "Frauen verlieren ihre Kinder oder bekommen missgebildete Babys", berichtet Okon. "Viele


werden vorzeitig unfruchtbar." In den Krankenhäusern liegen sie mit chronischen Atemwegserkrankungen, mit Asthma und Atemnot. Etliche bekommen schlecht Luft und kaum einen Ton heraus,


Haut und Augen sind entzündet. Manche haben Krebs. Gerade die Frauen leiden besonders. Seit Generationen bestellen sie die Felder, fischen und atmen dabei die Abgase ein. Die Lebenserwartung


der Menschen im Nigerdelta schrumpfte in den vergangenen Jahren, während sie in den übrigen Landesteilen stieg, berichtet Sofiri Joab-Peterside vom Center for Advanced Social Science in


Port Harcourt. Okon organisierte den Protest - und wurde zu einer Führungsfigur der nigerianischen Frauen- und Menschenrechtsbewegung. Heute leitet sie das Kebetkache Women's


Development and Resource Centre in Port-Harcourt im Nigerdelta. Sie trägt ihr schwarzes Haar schulterlang geflochten, wirkt stolz und stark. Aus rund 5000 Bohrlöchern pumpen die Konzerne das


Öl. Zu jeder Quelle gehören die berüchtigten Fackeln. Jeden Tag holen Lastwagenkolonnen mehr als 318 Millionen Liter Öl aus dem Land. Nigeria ist der achtgrößte Exporteur der Welt.


"LASST DAS ÖL IN DER ERDE" "Lasst das Öl in der Erde" fordert Okon von Shell, Chevron, Exxon Mobil und Total, "beseitigt alle Umweltschäden und entschädigt die


Menschen." Sie erzählt, dass es noch einige Dutzend Meter von einer Gasfackel entfernt unerträglich heiß sei. Das gigantische Feuer röhre wie der Motor eines Flugzeugs, und die Anwohner


können kaum schlafen, auch weil die Fackeln die Nacht für viele der 30 Millionen Nigerianer im Delta zum Tag machen. Nur ein paar Meter neben ihren Behausungen verbrennt einer der


wichtigsten Brennstoffe der modernen Zivilisationen - und doch müssen die Nigerianerinnen früh morgens Brennholz aus den angrenzenden Wäldern zum Kochen holen. Die wenigsten Menschen hier


haben Strom in ihren Hütten und Baracken. Im dicht besiedelten Nigeria leiden die Menschen am meisten; der größte Gasverschwender weltweit aber ist Russland. Alleine 50 Milliarden Kubikmeter


waren es im vergangenen Jahr, Deutschlands Gasbedarf für vier Monate. Dabei besitzt Russland die nötige Technik, um Erdgas zu verflüssigen und es so in Tankern nach Europa und die USA zu


transportieren. Der Rohstoff kann aber auch ins Pipelinenetz eingespeist werden. Und Kraftwerke können das Gas in Strom umwandeln. Ebenso gut ließe es sich aber auch in den Untergrund


zurückpressen. Dann würde die Luft nicht verschmutzt, und zudem stiege der Druck im Bohrloch, sodass mehr Öl emporquillt. Trotzdem lassen die Konzerne das Gas entweichen oder in Flammen


aufgehen. "Die Bemühungen der russischen Unternehmen sind dürftig", urteilt Steinar Njå, der sich bei der staatlichen Ölbehörde in Norwegen gegen das Abfackeln engagiert und vor


allem russische Partner berät. Und der Energieexperte Donald Hertzmark vom US-Beratungsunternehmen Petroleum Equities erklärt: "Das Monopol von Gazprom ist das Haupthemmnis." Denn


Gazprom bezahlt den Ölkonzernen zu wenig für das Gas oder gestattet nur kurzfristig das Einspeisen in die Pipelines - dadurch wird das Geschäft unrentabel. So torpediert der Monopolist viele


Bestrebungen, das Gas zu nutzen. Dabei standen die Zeichen dafür zunächst günstig. 2008 brachte Wladimir Putin ein Gesetz auf den Weg, wonach ab 2012 höchstens fünf Prozent des


aufsteigenden Gases ungenutzt bleiben dürfen. "Aber wir haben noch immer kein System dafür, wie wir das Gesetz umsetzen", sagt der russische Ölexperte Anatoly Zolotukhin von der


staatlichen Universität für Öl und Gas in Moskau. Wer gegen die Fünf-Prozent-Klausel verstößt, wird so gering bestraft, dass die Ölkonzerne das Bußgeld ohne Weiteres zahlen. Gegen höhere


Geldstrafen haben sich die Mineralöl-Lobbyisten bisher erfolgreich gewehrt. Ein neuer Trend gibt jedoch Anlass zur Hoffnung: Neuerdings können Industrieländer in Russland Klimaschutzprojekte


finanzieren. Rund ein Dutzend solcher Vorhaben wurden seit 2010 genehmigt, das jüngste im April 2012. Es soll das Abfackeln von Erdgas im Khasyrey-Ölfeld des russischen Ölkonzerns Rosneft


unterbinden. Dieses Ölfeld liegt 2300 Kilometer nördlich von Moskau, in einer schneebedeckten Ebene, wo das Thermometer nur an wenigen Tagen im Jahr über Null Grad steigt und wo Eisbären und


Rentiere leben. Noch sticht dort die Öl- und Gasindustrie Hitzeschwerter ins Eis. Eine Rußschicht überzieht Pflanzen und Schnee im Umkreis von Dutzenden von Metern mit einem grauen Film.


Selbst 15 Kilometer entfernt misst man Schadstoffe wie Ammoniak und Kohlenmonoxid. Die Menschen ringsum erkranken an Lungen- und Bronchialkrebs; Nervenleiden brechen aus und das Augenlicht


leidet, heißt es bei der russischen WWF-Niederlassung. "Die Fackeln werden in Sibirien als normaler Bestandteil des Landschaftsbildes angesehen. Ich hoffe, das wird sich bald


ändern", sagt Zolotukhin. Zwar haben zwei wichtige Ölunternehmen in der Region, Rosneft und Lukoil, selbst eine Strategie gegen das Abfackeln entwickelt. Aus dem Gas soll unter anderem


Strom erzeugt werden. Von 2008 bis 2012 will Rosneft alleine am Khasyrey-Ölfeld den Ausstoß von 711 Megatonnen Kohlendioxid vermeiden, indem der Strom nicht mehr aus Dieselgeneratoren


stammt. Zum genauen Stand des Projekts indes erteilte Rosneft bis Redaktionsschluss keine Auskunft. Laut der zuständigen niederländischen Investmentbank Carbon Trade and Finance, sind die


Anlagen einsatzbereit - ob sie in Betrieb genommen wurden, bleibt offen. Nach Meldungen vom März 2012 hat das Ölunternehmen aber schon die ersten Emissionszertifikate erhalten. Mit ähnlichen


Klimaschutzprojekten habe man bereits 30 Millionen Euro verdient, brüstet sich Rosnefts Präsident Eduard Khudaynatov gegenüber der russischen Presse. Gerne wüsste man, was die Gegenleistung


war. IN NORWEGEN ERLAUBT DIE REGIERUNG DAS ABFACKELN NUR NOCH IN NOTFÄLLEN Eines der wenigen Länder, in dem heute tatsächlich deutlich weniger Erdgas verbrannt wird als einst, ist Norwegen.


Dort erlaubte die Regierung schon in den 70er Jahren das Abfackeln nur noch in Notfällen. Zudem mussten die Unternehmen die vernichteten Mengen jeden Tag melden. Außerdem kostet seit 1991


jeder Kubikmeter vergeudetes Gas eine Krone an Strafsteuer. "Das hat einen wichtigen Schub gebracht", sagt Steinar Njå. Das Erdgas wird heute entweder ins Netz eingespeist oder in


das Bohrloch zurückgepresst. 0,3 Prozent des Gases verbrennen die rund 50 Plattformen in der Nordsee allerdings immer noch. "Wir können das noch mehr reduzieren. Daran arbeiten wir


jeden Tag", sagt Njå. Emem Okon kämpft derweil weiter für den Erhalt ihrer Heimat. Im Mai reiste sie zur Chevron-Aktionärsversammlung nach San Francisco und übergab den Bericht


"Chevrons wahre Kosten", wonach der Konzern 2008 über 64 Prozent des bei der Ölförderung aufsteigenden Erdgases in Nigeria abfackelte. Das Unternehmen ließ sie zwei Minuten lang


reden. "Nichts ist besser geworden", schimpft Okon. Die Satellitendaten geben ihr recht: Die Menge abgefackelten Gases stagniert seit 2008 bei rund 15 Milliarden Kubikmeter.


Chevron wehrt sich gegen die Vorwürfe: Man habe im vergangenen Jahr 50 Millionen US-Dollar für Entwicklungshilfe in Nigeria bereitgestellt, heißt es in einer Stellungnahme. Das Ziel sei,


"Frieden und Stabilität in die Region zu bringen, in der Chevron arbeitet". Und nicht zum ersten Mal erklärte Chevron 2011 das Abfackeln zum Auslaufmodell, wie andere Ölunternehmen


auch. Doch das sind Lippenbekenntnisse, auf die bislang kaum Taten folgten. Tatsache ist: Es wird weiterhin Erdgas verbrannt. Zwar ist dies in Nigeria schon seit 1984 verboten, aber gegen


Gebühren können Unternehmen von einer Ausnahmeregelung profitieren. Verbote, die munter erlassen und anschließend für diejenigen aufgehoben werden, denen sie eigentlich gelten sollten -


solcherlei Zugeständnisse an die Ölbohrunternehmen sind es, die Okon aufschreien lassen. Zwar forderte das Parlament immer wieder einen Stopp, aber der wurde stets vertagt - die Grenze


zwischen Kumpanei und Korruption ist fließend. "Die multinationalen Konzerne sind viel mächtiger als die nigerianische Regierung", sagt Okon. Trotzdem gibt sie die Hoffnung nicht


auf. Tausende Nigerianer stehen hinter ihr. Auf Plakaten fordern sie "Schützt uns vor den Flammen von Shell und Co", "Stoppt das Gasabfackeln jetzt" und


"Gasabfackeln ist Völkermord". Seit Beginn des Jahrtausends kommt es auch zu gewalttätigen Ausschreitungen. Militante Ölgegner entführen Mitarbeiter der Förderkonzerne, öffnen


Pipelines und stecken den Rohstoff in Brand oder stehlen ihn. So entlädt sich die angestaute Wut. Die eigentlichen Ziele, eine bessere Versorgungslage, Umwelt- und Ressourcenschutz, drohen


mit der Eskalation der Gewalt aus dem Blick zu geraten. Shell forderte kürzlich schärfere Sanktionen gegen "dreiste Öldiebe". Die Beschuldigten drehen den Spieß um und werfen den


Großkonzernen vor, sie seien es, die das Öl stehlen. Im Frühjahr gingen Millionen Nigerianer auf die Straße, weil die Regierung zuvor die Subventionen für Öl gekappt und der Preis für Benzin


sich dadurch verdoppelt hatte - in einem der ölreichsten Länder der Erde ist dieser Rohstoff für die meisten zu teuer. Okon steht für den friedlichen Widerstand. Sie baut auf einen


langfristigen Wandel: "Wir Frauen machen weiter und protestieren, bis zumindest das Abfackeln von Gas aufhört." Dieser Text ist erschienen im Magazin "natur", Ausgabe


09/2012