
"ohne-gentechnik"-label: ist fast all unser essen gentechnisch manipuliert?
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------------------------- * * X.com * Facebook * E-Mail * * * X.com * Facebook * E-Mail * Messenger * WhatsApp * Dieser Beitrag stammt aus dem SPIEGEL-Archiv. Warum ist das wichtig? Zwei
Drittel der Deutschen möchten ungern gentechnisch veränderte Lebensmittel essen. Das ist das Ergebnis der Naturbewusstseinsstudie des Umweltministeriums aus dem Jahr 2017 . Bis heute dürfte
sich daran kaum etwas geändert haben. Verbraucher zweifeln, dass die Produkte sicher sind oder fürchten negative Folgen für die Umwelt. Was vielen Menschen nicht klar ist: Ein Großteil
unserer Nahrungsmittel basiert schon lange auf Nutzpflanzen, deren Erbgut mithilfe von Röntgenstrahlung oder Chemikalien genetisch verändert wurde. Dabei werden wahllos Mutationen in einer
Vielzahl von Pflanzen erzeugt. Entstehen dabei zufällig nützliche Eigenschaften, werden diese Pflanzen weiter gezüchtet. 1965 wurde so etwa die Gerstensorte Diamant geschaffen. Inzwischen
ist sie in fast alle Gerstensorten Europas eingekreuzt. Weltweit gibt es 3200 so erzeugte Pflanzensorten, schreiben Forscher des Bundesamtes für Verbraucherschutz (BVL) in einer Studie von
2018 . Laut dem Verband "Forum grüne Vernunft" enthalten mehr als 90 Prozent aller Lebensmittel Genmanipulationen aus Bestrahlung oder einer Chemikalienbehandlung. WANN IST EINE
ERBGUTVERÄNDERUNG GENTECHNIK? In der EU müssen die Produkte aufgrund einer Sonderregelung nicht als gentechnisch verändert gekennzeichnet werden. Hersteller in Deutschland gehen aber noch
einen Schritt weiter: Sie bewerben die Produkte immer häufiger mit dem "Ohne Gentechnik"-Label. Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshof (EuGH) streiten Forscher nun, ob das
erlaubt ist oder Verbrauchertäuschung. Das oberste Europäische Gericht musste im Juli 2018 entscheiden, wie die Gentechnik-Definition im EU-Recht auszulegen ist. Die Frage war, ob ein
Organismus allein dann als gentechnisch verändert gilt, wenn er mit gentechnischen Methoden manipuliert wurde, also beispielsweise mithilfe von Röntgenstrahlen. Oder, ob es auf das Ergebnis
ankommt - also darauf, ob das Erbgut so verändert wurde, wie es sich natürlicherweise nie hätte entwickeln können. Die Richter kamen zu dem Schluss, dass der Herstellungsprozess entscheidend
ist. Demnach sind mit Chemikalien und Strahlung hergestellte Pflanzen gentechnisch verändert. Einige Experten schließen daraus, dass das "Ohne Gentechnik"-Label auf solchen
Produkten nicht mehr verwendet werden darf. Doch so einfach ist es nicht. Ob Verbraucher in die Irre geführt werden, hängt davon ab, welche Erwartungen sie haben. ERWARTUNG, DASS VOLLSTÄNDIG
AUF GENTECHNIK VERZICHTET WURDE Im Auftrag von "Forum grüne Vernunft" hat der Rechtswissenschaftler Reimund Schmidt-De Caluwe von der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
die gesetzlichen Grundlagen des "Ohne-Gentechnik"-Labels nach dem Urteil analysiert. Sein Gutachten wird am Freitag auf einer Pressekonferenz vorgestellt und liegt dem SPIEGEL
vorab vor. Schmidt-De Caluwe kommt zu dem Schluss, dass der "Ohne Gentechnik"-Slogan Verbraucher in die Irre führt. "Es ist davon auszugehen, dass die Kennzeichnung die
Erwartung weckt, dass bei der Produktion von Nahrungsmitteln vollständig auf Gentechnik verzichtet wurde", argumentiert er. Lebensmittel, deren Bestandteile durch Röntgenstrahlen oder
Chemikalien genetisch verändert wurden, dürften daher nicht mehr mit dem Siegel "Ohne Gentechnik" gekennzeichnet werden. Das "Forum grüne Vernunft" versucht seit Jahren
sichtbar zu machen, wie verbreitet Gentechnik im Alltag ist. Die Initiative hat den "Verband Lebensmittel ohne Gentechnik" (VLOG) aufgefordert, das "Ohne
Gentechnik"-Siegel künftig nicht mehr für durch Chemie und Strahlung veränderte Nahrungsmittel zu vergeben. Zudem hat sie mehrere große Einzelhandelsunternehmen abgemahnt, die
entsprechende Produkte verkaufen. Eindeutig ist der Fall jedoch nicht. Zwar halten auch Wissenschaftler des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die
Kennzeichnung für irreführend. Man könne nicht davon ausgehen, dass Verbraucher zwischen verschiedenen Methoden der Gentechnik unterscheiden, argumentieren sie in einem Beitrag im
Fachmagazin "Natur und Recht" vom November 2018. Doch es gibt auch Gegenstimmen. LANDWIRTSCHAFTSMINISTERIUM SIEHT KEINEN HANDLUNGSBEDARF Bei der Einschätzung der BVL-Forscher
handele es sich lediglich um Einzelmeinungen, nicht aber um die offizielle Position des Ministeriums, schreibt etwa der Bundesverband der Verbraucherzentralen auf Anfrage. Er sieht bislang
keine Notwendigkeit den Einsatz des "Ohne Gentechnik"-Siegels einzuschränken. Auch das Landwirtschaftsministerium hält sich bedeckt. Es verfolge die juristische Diskussion mit
Interesse, sehe bislang aber keinen Handlungsbedarf, hieß es. Nach der Auffassung der Siegel-Befürworter, verstehen Verbraucher unter gentechnisch veränderten Lebensmitteln vor allem
Produkte, die mit modernen gentechnischem Methoden erzeugt wurden. Ein aktuelles Beispiel ist die Genschere Crispr. Im Gegensatz zu Strahlung und Chemie kann sie Gene in Pflanzen zielgenau
verändern. Obst und Gemüse, dass seit vielen Jahren im Handel sei und einst mithilfe von Strahlung und Chemikalien verändert wurde, werde nicht als gentechnisch manipuliert wahrgenommen, so
die Argumentation weiter. Die Bezeichnung "Ohne Gentechnik" sei in diesen Fällen daher auch nicht irreführend. Wer Recht hat, werden Gerichte klären müssen.