
Preisrede alfred-kerr-darstellerpreis: charme, behauptungswillen und das pure leben
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Carmen Steinert bekommt den Alfred-Kerr-Darstellerpreis für ihre Rolle in „Blutbuch“. Eine Laudatio der Schauspielerin Bettina Stucky. _Bettina Stucky ist Ensemblemitglied am Deutschen
Schauspielhaus Hamburg. Bei der Eröffnung des Theatertreffens war die Schweizerin in der Katie-Mitchell-Inszenierung von „Bernarda Albas Haus“ zu sehen. Sie spielte die wunderbar verrückte
Großmutter. Bettina Stucky war die diesjährige Jurorin des Alfred-Kerr-Darstellerpreises. Die Auszeichnung – mit 5000 Euro dotiert – wird vom Tagesspiegel mitgetragen. Den Preis erhält die
1994 in Graz geborene Schauspielerin Carmen Steinert. Ausgezeichnet wird sie für ihre Rolle in_ „_Blutbuch“ von Kim de l’Horizon vom Theater Magdeburg. Steinert war von 2017 bis 2024 in
Magdeburg engagiert_. „Ach“, dieser letzte Seufzer von Alkmene in „Amphitryon“ bei Heinrich von Kleist liegt mir auf der Zunge, wenn ich nun die Ehre habe, den Gewinner oder die Gewinnerin
des diesjährigen Alfred-Kerr-Darsteller*innen-Preises zu bestimmen. Und ich habe nicht die Absicht in ein Untergangsszenario einzustimmen, da Ihr die Zukunft seid. Und das Letzte, was man an
diesem Punkt in seinem Leben braucht, ist das Heraufbeschwören einer blühenden Vergangenheit, die im Übrigen auch damals gar nicht nur so empfunden wurde! Drum heißt es ja blühende ZUKUNFT!
Und trotzdem: Ich habe lange überlegt, wie weit ich selber ausholen will. Viele dieser Appelle sind in den letzten Tagen hier beim Theatertreffen ausführlich geäußert worden. Von Claudia
Roth in der Eröffnungsrede, mit ihrer großen Liebe zu unserem Beruf, und zur Kunst überhaupt. Die Endzeitstimmung wurde beschrieben von Matthias Pees, mit einer Aufnahme von Bruno Ganz
Hölderlin zitierend. „Vom Abgrund nämlich.“ Chance im Angesicht der Gefahren oder des Endes, man weiß es nicht, wie auch. SPIEL OHNE FATALE KONSEQUENZEN Wir wissen, glaube ich, alle um die
Gefährdung dieses deutschsprachigen Kleinods, ein Schmuckstück in seiner altmodischen Bedeutung. Braucht man diesen Schmuck? An sich ist sein Material nicht definiert, ob aus Gold, Holz,
Horn oder Plastik. Aber dieser Theater-Schmuck sucht seinesgleichen in der Welt. Diese subventionierte Theaterlandschaft, in all ihrer Dichte und Vielfalt. Wo Ensembles im Langstreckenlauf
ihre Form und Sprache finden dürfen, eben nicht im Sprint, wo ein schlechter Start oder ein Stolpern ein existenzielles „Sein oder nicht sein“ sehr schnell zur Konsequenz haben können.
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unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können. Es ist ein großer Luxus, verglichen mit anderen Kunstgattungen erst recht. Kein Maler, kein
Bildhauer, kein Schriftsteller, kein Komponist hat diesen Tresor, diesen Schatz- oder Schutzraum. Ein Raum der Visionen, wo alternative Gesellschaftsstrukturen ausprobiert werden können,
ohne fatale Konsequenzen, wo Imaginationsmuskeln trainiert werden. Ein Raum, frei von Zwang, damit man elastisch bleibt im Kopf. Wo nicht alles der umgehenden Verwertbarkeit untergeordnet
werden muss, gerade weil diese Kunstgattung in ihrem Wesen immateriell ist. Außerdem ist es ein öffentlicher Raum, der für alle zugänglich sein sollte. Der eigentlich nicht elitär ist, keine
Hochschule, die man nur mit dem entsprechenden Abschluss betreten darf. Es ist ein Raum, der sich zum Dialog und Diskurs öffnet, auch außerhalb des Spielplans, und in seiner jeweiligen
Stadt und den Menschen, die in ihr leben. Ich glaube, wir brauchen dringend solche Schutzräume, wo wir die Möglichkeit haben, uns als Kollektiv wahrzunehmen, im Hier und Jetzt. Und wenn ich
jetzt möglicherweise klinge wie aus dem letzten Jahrhundert, man möge mir verzeihen: Ich bin zutiefst dankbar, dass wir im Theater oft nur klägliche Ansätze bieten, die in aller Ambivalenz
für einen Erkenntnisprozess möglicherweise wichtig sind. Und für den Humor erst recht. Und dass wir dabei hoffentlich auch immer wieder Scheitern dürfen, weil keiner am offenen Herzen
operiert wird oder Kriege entbrennen. Zum Glück! FLIRRENDE VERGÄNGLICHKEIT Bei aller Unzulänglichkeit steht für mich außer Frage, wie unbeschreiblich schön und in seiner Flüchtigkeit zeitlos
und bezaubernd das Medium Theater sein kann. Sobald ich den Theaterraum verlasse, wird alles umgehend zu meiner Erinnerung. Und im Rückblick nach Jahren kann ich gar nicht mehr
unterscheiden, was ergänze ich, was sind meine Gefühle, meine Assoziationen zu dem Geschehenen und was hat real stattgefunden. Es ist unüberprüfbar und im besten Sinne individuell, denn über
Geschmack und meine Gefühle lässt sich nicht streiten. Man kann eben nicht zurückspulen wie im Film, oder das Bild nochmals im Museum sich ansehen, oder das Buch aus dem Regal rausziehen.
Das ist vermutlich der Hauptaspekt, zumindest für mich, warum Theater im Kern so viel mit Leben zu tun hat. Wie flirrend Vergänglichkeit ist, wie das Unaussprechliche spürbar wird, dass wir
verletzliche endliche Wesen sind, all dies ist bei KONTAKTHOF von Pina Bausch auf so wunderbare Weise zu sehen und taucht aus einem kollektiven Wissen an die Oberfläche auf. Und da ist es
wieder, dieses „Ach“ tausendfach ausgehaucht, mal erschöpft, mal ratlos, mal konstatierend, mal empört..., was diese drei Buchstaben eben in ihrer Abfolge so alles bedeuten können. Muss man
darüber nachdenken? Nein, man muss nicht. Denn Ihr seid ja da. Ihr kommt nach, Ihr seid die Zukunft. Mein „Ach“ ist ein begeistertes. Ich gebe zu, es ist gar nicht so einfach, mit sich
selbst zu einer Entscheidung zu kommen. Also, ich habe gerungen, aber hoffentlich mit einem glücklichen Ende. Es freut mich sehr, dass Ihr hier seid, in Teilen zumindest, und es war mir eine
große Ehre, Euch zuschauen zu dürfen. Dafür möchte ich mich sehr bedanken. Wie jede und jeder in seiner spezifischen Art und Weise diesen Beruf in den ersten Jahren angeht. Wie man mit
Hierarchie kämpft, mit der Konfrontation von Macht und Verantwortung, was alles zu respektieren ist und trotzdem muss man darin frei bleiben. So gut es geht seinen eigenen Weg finden. (Bei
allem „ich weiß doch auch nicht, wie es geht“!) JEMAND LEUCHTET AUF DER BÜHNE Aber nun zu Dir: Was Du da spielst, ist so unglaublich schön, als Teil eines fantastischen Ensembles, das das
Publikum so begeistert hat. Mit all Eurer Kraft, das pure Leben, mit einem unglaublichen Behauptungswillen. Und das bei einem Stoff, der alles andere als leicht aufzufächern ist. Eine
Geschichte zu erzählen von einer queeren Person, die gerade auf Bühnen oft bewundert und gefeiert werden, und auf dem Heimweg nachts sind sie unter Umständen völlig schutzlos. Es ist ein
sehr feiner, schmaler Grat diesen Ton zu treffen, man kann es auch, ja, Märchen nennen. Ein Kind darzustellen, das kann schnell verrutschen und kitschig sein und ich persönlich reagiere sehr
empfindlich auf komische Sentimentalität. Du zeigst mir ein Kind, das mit sich selbst spielt, in seiner zarten Schamhaftigkeit und die Welt nicht versteht. Und Angst hat, was passieren
könnte. Was ist Traum, was ist Wirklichkeit? Wer spielt hier welche Rolle bei Schneewittchen oder wie auch immer man die Mutter assoziieren will. Der Vater sagt nicht viel. Der ist
eigentlich eine große Papiertüte. Bloß keine Fehler machen, zur Not nimmst Du die Schuld auf Dich. Spätestens wie Du Klavier spielst auf Deinem Minipiano und völlig versunken singst, da
werde ich hellwach. Wie Du mit Dir selbst Musik machst in der größten Purheit, wie nur selbstvergessene Kinder es können, und dann hochguckst und entdeckst, dass Du beobachtet wirst. Mit
welchem Charme und mit einem Augenzwinkern Du weiter singst und natürlich anders als zuvor, mit einem gewissen Vorführeffekt in die höchste Stimmlage gleitest. Ich muss unwillkürlich lächeln
und ein Teil in mir fühlt sich ertappt und erkennt sich wieder. Das ist sehr schön, sehr fein und Du triffst damit für mich einen der wichtigsten Punkte als Spielerin. Du bist eben nicht
das Kind im Spielzimmer, aber Du kannst in diese Selbstversunkenheit abtauchen, die man so liebt, diese Unschuld, diese spezielle Konzentration bei Kindern, und gleichzeitig zeigst Du mir,
was passiert, wenn Du siehst, dass Du gesehen wirst. Das ist unglaublich klug und sehr außergewöhnlich. Ich weiß nicht, wie Du das machst, aber Du kannst sichtbar machen, was wir alle
kennen, „bei sich zu sein“ und in der Öffentlichkeit anders zu sein und wie oft hat man sich dabei über sich selbst geärgert. Es sieht so leicht aus, weil es eben jeder kennt, und es ist so
schwer zu dosieren. Und Du schaffst es sogar beide Zustände zu spielen, ohne sie zu bewerten. Und ganz kurz bin ich versöhnt mit mir selbst und denke, „ja genau, so ist das eben.“ Und dann
leuchtet jemand auf der Bühne. Mit so viel Humor. Wie Du als erwachsene Figur die Geschichte immer wieder auf den Boden bringst, immer direkt bleibst im Ton. Wie Dir gegen Ende die Stimme
wegbricht beim finalen Abschied von Deiner Großmutter, aber nur sehr schnell, sehr kurz. Man kann es hören, aber auch überhören, das ist so unsentimental, weil es Dir passiert, Du drückst
nicht drauf, es ist ein feiner Pinsel, ohne Nachdruck. All das zeugt von einer großen schauspielerischen Intelligenz und ich bin dankbar und glücklich, dass es solche Menschen wie Dich auf
der Bühne gibt. Ich hoffe Du spielst weiter so, dass Du Dir immer wieder den Raum nehmen kannst, um bei Dir zu bleiben. Lass Dich nicht zu sehr beeindrucken, Du hast schon jetzt ganz
wichtige Dinge offenbar verstanden. Such Dir Deine Freiräume, man wird sie Dir manchmal geben, manchmal nicht. Dann nimm sie Dir. Bei aller Unsicherheit, die hört nie auf und sie ist so
kostbar, weil sie eben was kostet. Vertrau Dir. Du hast ein unglaublich feines Gespür und dabei sehr viel Geschmack. Liebe Carmen Steinert, es ist mir eine große Ehre und Freude, Dir für
Deine Rolle in „Blutbuch“ von Kim de l’Horizon vom Theater Magdeburg, das zum ersten Mal überhaupt zum Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, den Alfred-Kerr-Darsteller*innen-Preis des
Jahres 2025 zu überreichen. Meinen Glückwunsch, von ganzem Herzen.