"outcast": wenn häusliche gewalt zum dämon wird


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fängt ja gut an: Ein kleiner Junge mit glasigem Blick fixiert eine Schabe, die an der Wand des Kinderzimmers nichts Böses ahnt. Wenig später macht der Knabe ihr mit einem gezielten Kopfstoß


den Garaus und schleckt die blutigen Überreste genüsslich von der Tapete. Kurz darauf steht er wie in Trance in der Küche und vernascht statt Frühstücksflocken seinen eigenen Zeigefinger.


Hmmm, lecker! Für solche Gore- und Gruseldetails ist Robert Kirkman Spezialist. Der in Comic-Kreisen gefeierte Autor hat mit seiner Zombie-Saga "The Walking Dead", die er zusammen


mit Zeichner Charlie Adlard bestreitet, die vielleicht erfolgreichste Heftreihe der jüngeren Vergangenheit geschaffen. Die inzwischen mehr als 150 Ausgaben umfassende Serie ist seit sechs


Staffeln auch im Fernsehen ein Blockbuster. "Outcast" ist Kirkmans neueste Story, sie beginnt, im populären Comic wie auch in der nun startenden TV-Serie, mit jenem lustvoll


abgenagten Fingerchen. Der Junge, er heißt Joshua und wird von Gabriel Bateman beunruhigend dämonisch dargestellt, ist von einem Dämon besessen. Das ist, so scheint es, nichts Ungewöhnliches


in der fiktiven Kleinstadt Rome in West-Virginia, dem ehemaligen Kohlelager der USA, in dem sich wirtschaftliche und spirituelle Depression niedergeschlagen haben. "Outcast",


vordergründig eine klassische Horror-Geschichte, handelt davon, wie ein übernatürlich begabter junger Mann und ein tapferer Reverend diese Düsternis exorzieren. DIE MONSTER SIND NUR DIE


SYMPTOME Doch wie in "The Walking Dead" geht es auch in diesem apokalyptischen Märchen um mehr als nur darum, möglichst spektakulär Zombies zu metzeln oder Dämonen auszutreiben.


Der Hunger, den der kleine Joshua verspürt, während sich seine Mutter und seine Schwester mal wieder ankeifen und der Vater offenbar längst über alle Berge ist, dieser Hunger ist auch ein


Verlangen nach Seelenfrieden und sozialer Wärme. Das Böse ist auch hier vor allem das Unheil, das wir Menschen untereinander anrichten, die Monster sind nur die Symptome - und sorgen für den


nötigen Genre-Schauwert. Auch Kyle Barnes (Patrick Fugit, "Almost Famous") war mal ein verlorener kleiner Junge wie Joshua, doch nicht er wurde zum Opfer eines Dämons, sondern


seine Mutter, die ihn immer wieder in einen Schrank sperrte und übel malträtierte. Was genau dann zwischen den beiden eskaliert, enthüllt sich erst allmählich. Die Mutter vegetiert


jedenfalls seitdem im Krankenhaus vor sich hin. Kyle wuchs bei Pflegeeltern auf, Stiefschwester Megan (Wrenn Schmidt) kümmert sich noch heute liebevoll um ihn. Denn Kyle, ein ausgemergelter


und verwahrlost wirkender Endzwanziger, scheint das Böse förmlich anzuziehen. Auch seine Ehe versank in einem Gewaltausbruch. Ihm wird vorgeworfen, seine kleine Tochter misshandelt zu haben,


zu Unrecht, wie sich herausstellen wird, auch hier spielte Besessenheit eine Rolle. Aber wie erklärt man so etwas einer frommen Kleinstadtgemeinde, ohne als Psychopath dazustehen und zum


Paria, zum "Outcast" zu werden? Kyle verschanzt sich also im unaufgeräumten Chaos seines Elternhauses und lässt sich gehen. Erst als ihn der örtliche Priester Reverend Anderson


(Philip Glenister) um Unterstützung bei Joshuas Seelenrettung bittet, löst er sich aus seiner Apathie - und lernt bald, dass es eine spezielle Beziehung zwischen ihm, dem Ausgestoßenen, und


den Mächten der Finsternis gibt, die sich auf eine ominöse Zusammenkunft vorbereiten, den sogenannten "Merge". TABUBRÜCHE, DIE MAN ERWARTET Das Konzept ist übersichtlich, aber


effektiv: Während nach und nach die sozialen Abgründe des Städtchens offenbart werden und in den späteren Folgen "Star Trek"-Data Brent Spiner als mysteriöser Mann mit Hut sein


Unwesen treibt, tingeln Anderson und Barnes von Haus zu Haus und exorzieren mit hinreichender Drastik vor sich hin. Die Pilotfolge wartet nach dem Ekelauftakt zu Beginn noch mit einem


weiteren Schocker auf, als Kyle dem in schönster Linda-Blair-Manier fluchenden und levitierenden Kind heftig und ausdauernd mit beiden Fäusten ins Gesicht prügelt. Das sind die Tabubrüche,


die von einer Kirkman-Serie erwartet werden - und für die der in den USA verantwortliche Kabelsender Cinemax ("Banshee", "The Knick") inzwischen bekannt ist. Die


eigentliche Dramatik von "Outcast" entfaltet sich jedoch eher in den Szenen, wenn die ungleichen Exorzisten-Buddys bei langen "True Detective"-Autofahrten über das Böse


philosophieren - oder wenn sich in den Gesprächen zwischen Megan und Kyle das ganze Leid der Barnes-Familie auffächert. Im Comic, der von Zeichner Paul Azaceta mit zwar kräftigen, aber bis


zur Tristesse verdunkelten Farben illustriert wird, sorgt vor allem diese distinktive Farbgebung, gepaart mit einer fragmentierten Panel-Anordnung, für eine dichte, das Narrativ tragende


Atmosphäre der Beklemmung. Die erlaubt es Kirkman, seine Story sehr langsam und detailreich auszubreiten. Mit traditionellen TV-Mitteln, die hier von Horrorfilm-Regisseur Adam Wingard


("The Guest") durchaus kompetent angewendet werden, kriegt man so etwas nicht hin: Schon im Pilot droht die Handlung zwischen den Action-Akzenten zu verschleppen. Ein Problem,


unter dem zeitweise auch "The Walking Dead" und vor allem das glücklose TV-Nebenprojekt "Fear The Walking Dead" litten. So liegt es vor allem an den guten, sorgfältig


ausgewählten Darstellern, allen voran Fugit und Glenister, dass "Outcast" die Übersetzung in ein anderes Medium zunächst ohne größere Verluste überstanden hat. Ob die als


Teufelsaustreiber-Procedural getarnte Ballade über häusliche Gewalt aber auch über den gelungenen Auftakt hinaus übernatürliche Kräfte entfaltet und die Zuschauer in ihren Bann ziehen kann,


bleibt abzuwarten. "Outcast": Ab Montag, 6. Juni, wöchentlich um 21 Uhr auf Fox und Sky Deutschland. Der Comic erscheint in Deutschland bei Cross Cult.