Ein job mit rührenden einblicken: der mann, der berlins alte fotoautomaten am leben hält

Ein job mit rührenden einblicken: der mann, der berlins alte fotoautomaten am leben hält


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Vier Fotos, echte Chemie, kein Touchscreen: In Berlins Fotoautomaten entstehen Bilder ohne Backup. Der Techniker Jan Senftleben wartet sie – eine altmodische, aber sehr romantische Aufgabe.


Die Tür des Automaten klemmt ein wenig, wie immer. Jan Senftleben zieht sie mit einem kurzen Ruck auf. Innen riecht es nach Metall, Gummi und einer Spur Chemikalie. Auf einem kleinen Podest


stehen offene Behälter in einem Kreis. Der Automat atmet noch. Aber es ist Zeit für neue Entwicklerflüssigkeiten. „Wenn die Bilder anfangen zu schmieren, ist es eigentlich schon zu spät“,


sagt Senftleben. Das passiert, wenn sich die Flüssigkeiten nach zu vielen Fotostreifen, die von einem kleinen Metallärmchen in die verschiedenen Entwicklungsbäder getaucht wurden, langsam


vermischen. Dann kommt Jens Senftleben. Er trägt an diesem Tag seinen Norweger-Pulli – gefunden in einer Zu-Verschenken-Kiste. Perfekt als Arbeitskleidung, nicht zu schade für Spritzer.


Seine Werkzeuge, das Material und die alten Behälter liegen ordentlich sortiert in Kisten vor dem Automaten. Ins Innere passt nur er allein. AUTOMATENTECHNIKER SEIT 13 JAHREN Seit 13 Jahren


ist er der Mann für die Maschinen, aus denen die vielleicht ehrlichsten Bilder der Stadt kommen. Automatentechniker nennt er sich. Ein eigentlich nicht mehr existierender Beruf, ein Job in


Schwarz-Weiß. Wie die vier Fotos auf dem Streifen. Automaten, die an Berlins Straßenrändern stehen, vor Clubs, an U-Bahn-Eingängen oder in der Markhalle Neun in Kreuzberg, wo Jens Senftleben


nun im gemütlich, funzeligen Arbeitslicht sitzt, um den Automat für seine nächsten Fototurnus wieder fit zu machen. Hunderte fremde Menschen setzen sich hinein, schauen in eine kleine


Linse, warten auf den Blitz, vier Mal. Empfohlener redaktioneller Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit


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Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können. VIER BILDER, EIN GESCHÄFTSMODELL Die Firma Photoautomat


GmbH, für die Jan Senftleben arbeitet, wurde 2004 von Ole Kretschmann und Asger Doenst gegründet. Sie betreibt heute 40 analoge Fotoautomaten in sechs Städten, 32 davon in Berlin. Die Idee


begann als lustige Idee zweier Kumpels. Mit zwei Euro als Einwurf gestartet, die als Münze doch jeder mal in der Tasche hatte, wurden die Automaten schnell zum Vintage-Kult. Mittlerweile


kosten vier echte Fotos auf einem Streifen vier Euro. Und der Auslöser lässt sich nun auch per EC-Karte drücken. „Hat gedauert, einen Anbieter zu finden, der mit so alten Maschinen


arbeitet“, erzählt Senftleben.  Die Herausforderung liegt heute nicht mehr nur im Getriebe oder der Chemie, sondern auch im Standortmanagement. Die Mieten dafür steigen. Strom muss gelegt


werden. „Und wir konkurrieren zum Beispiel mit Geldautomatenfirmen, die teilweise tausend Euro pro Quadratmeter zahlen“, erklärt er. Trotzdem bleibt die Fotonostalgie ein solides


Geschäftsmodell. Die Umsatz der Firma lag 2023 bei 363.000 Euro. Neben den verlässlich frequentierten Standorten, kann man die Automaten auch mieten. Für ein italienisches Modelabel fuhr


Senftleben sogar schon mal nach Rom. Einmal über die Alpen mit einem alten Fotoautomaten. „Ich musste um vier Uhr nachts losfahren, abends dann in Rom, am nächsten Morgen aufgebaut. Einmal


reicht.“ PERFEKTER JOB FÜR EIN EINFACHES LANDLEBEN Er hat Maschinenbau studiert. Aber nicht zu Ende. „Ich wollte nie still sitzen. Ich wollte was Echtes machen“, sagt er. Den Mitgründer Ole


Kretschmann kennt er seit der Grundschule in der Nähe von Hamburg. Mit dem ersten Kind und nach einem gescheiterten Versuch auf dem Land in Schleswig-Holstein zu leben, zog es ihn zurück


nach Berlin – zumindest für den Job. Mit seiner Familie lebt er lieber eine Stunde und 20 Minuten entfernt in Brandenburg. Die Pendelei ist machbar, schließlich arbeitet Senftleben nur 20


Stunden die Woche. Die Liebe zu einem einfachen Leben und ein guter Stundenlohn machen es möglich. Wie genau die Mischung der Chemikalien ist, verrät Senftleben nicht. Auch keine Details zur


Maschine – das ist Betriebsgeheimnis. Fotos vom Inneren sind nicht erlaubt. „Aber ich kann erklären, was passiert“, sagt er. Belichtung, Entwickler, Bleichbad, Toner, Wasser. Alles muss


stimmen, vor allem die Temperatur. 27 Grad sind ideal. Dafür ist eine kleine Heizung im Automat verbaut. Heute sind es 25,8. „Wenn’s kälter ist, werden die Bilder zu dunkel.“ Zum Vergleich:


Das Berliner Freibad hat gerade 21 Grad. BESTER STÖRUNGSMELDER IST DER MENSCH Technisch sind die Automaten robust. Eine neue Rolle Fotopapier reicht für 1000 Streifen. Danach ist Schluss –


oder es hakt vorher. Dann klingelt irgendwo ein Telefon unter der Servicenummer. Aber gelegentlich fällt etwas aus. Dann hilft kein Warnsystem, sondern das verlässlichste Instrument, das die


Firma kennt: der Mensch. „Wenn was nicht funktioniert, melden sich die Leute sofort“, sagt Senftleben. „Das ist unser Frühwarnsystem.“ Ein Kollege rückt aus – oder er selbst – prüft


Flüssigkeiten, Sensoren, Motoren. Manchmal liegt es am Vorhang, manchmal am Strom, manchmal am Papier. Meistens ist es schnell behoben. Chemie und Technik müssen stimmen. Die


Schwarz-Weiß-Streifen entstehen in einem Direktpositivverfahren: Kein Negativ, keine Cloud, kein Backup. „DER TOUCHSCREEN FUNKTIONIERT NICHT“ Was regelmäßig passiert: Missverständnisse.


„Immer wieder ruft mal jemand an und sagt, der Touchscreen funktioniert nicht“, erzählt Senftleben. Er lacht und schüttelt den Kopf, ohne Spott. „Gibt keinen.“ Die Geräte stammen aus den


1950er- bis 80er-Jahren. Sie funktionieren rein mechanisch. Natürlich ohne Display. Nix Menü. Nix WLAN. Und: keine Sicherung. Wenn etwas schiefläuft, ist das Bild verschwunden. Auch da


kommen immer mal wieder verzweifelte Anrufer, die vielleicht Pech mit der Tagesform des alten Geräts hatten. „Manche glauben, wir hätten das irgendwo gespeichert. Haben wir aber nicht.“ Mehr


als eine schnelle Erstattung der vier Euro ist da nicht zu machen. BERLIN LIEBT SEINE AUTOMATEN Trotzdem – oder gerade deshalb – haben die Automaten in Berlin einen eigenen Status. Sie sind


Teil der Stadt. Bemalt, beklebt, beschrieben – aber selten beschädigt. „In Berlin ist das erstaunlich friedlich“, sagt Senftleben. Ganz anders hingegen in Leipzig. „Wir haben in der


gesamten Firmengeschichte vier Automaten als Totalschäden verloren. Drei davon in Leipzig“, erzählt Senftleben. Warum das so ist, weiß er auch nicht. > Man wundert sich, was vier Menschen


 in so einer engen Kabine alles > anstellen können. JAN SENFTLEBEN, Photoautomat GmbH Hier in Berlin sind die Kästen Stadtmöbel. Wenn Jan Senftleben in der Werkstatt einen Automaten


öffnet, weiß er nie genau, was ihn erwartet. Manchmal sind es einfach nur vergessene Fotostreifen – misslungen, verklemmt, unentwickelt. Manche Fundstücke sind rührend: jede Woche ein Bild


mit dem Kind, monatlich ein Streifen mit der besten Freundin. Manche hätte er lieber nicht entdeckt. „Man wundert sich, was vier Menschen in so einer engen Kabine alles anstellen können.“ Es


ist so ähnlich wie im französischen Kult-Film „Die fabelhafte Welt der Amélie“ von 2001, bei der sich die Protagonistin in einen Sammler von solchen weggeworfenen Bildern verliebt. Wenn


alles geprüft ist, der Entwickler aufgefüllt, das Papier nachgelegt, schließt Jan Senftleben die Tür mit einem kurzen Ruck und zuppelt den Vorhang wieder zurecht. Der Automat ist bereit für


die nächsten tausend Fotostreifen. Mit Kisten und Sackkarre muss er zum nächsten Standort, ins C/O Berlin. Dort steht der älteste Fotoautomat der Stadt. 80 Jahre alt. Eine beeindruckende


Lebenszeit für ein technisches Gerät in vollem Betrieb. Auch das: ein Konzept aus einer anderen Zeit – gebaut, um zu bleiben.