Kulturgeschichte: 75 jahre absurdes theater: die frisur der „kahlen sängerin“

Kulturgeschichte: 75 jahre absurdes theater: die frisur der „kahlen sängerin“


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Schreiend komisch und subversiv: „Die kahle Sängerin“ von Eugène Ionesco. In einem kleinen Kellertheater in Paris wurde vor einem Dreivierteljahrhundert die Theaterwelt dramatisch verändert.


Von wegen „Warten auf Godot“: Der Literaturnobelpreisträger Samuel Beckett (1906-1989) aus Irland gilt zwar oft als wichtigster Dramatiker des absurden Theaters. Doch rund drei Jahre vor


seiner „Godot“-Uraufführung hatte ein „Anti-Stück“ des französisch-rumänischen Autors Eugène Ionesco (1909-1994) Premiere in Paris. Vor 75 Jahren kam „Die kahle Sängerin“ auf die Bühne des


kleinen Théâtre des Noctambules im Quartier Latin.  Das Stück ist das eigentliche Gründungsdokument des absurden Theaters. Es ignoriert viele bis dahin geltende Dramentheorien.  Ein


Dreivierteljahrhundert nach der Uraufführung - in einer Zeit, die viele ebenfalls als Epochenumbruch empfinden - gibt es Anlass genug, einige Fragen zu dem Bühnenwerk und dem Theater des


Absurden zu beantworten. WAS PASSIERT IN DEM STÜCK? Die Handlung (wenn man das überhaupt so nennen kann) spielt zu Hause bei Mr. und Mrs. Smith in London. Sie langweilen sich gemeinsam nach


dem Abendessen, reden unter anderem über eine Familie, deren Mitglieder sämtlich „Bobby Watson“ heißen.  Empfohlener redaktioneller Inhalt An dieser Stelle finden Sie einen von unseren


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widerrufen können. Plötzlich kommt das befreundete Ehepaar Martin zu Besuch, das erst im Verlauf eines umständlichen Dialogs erkennt, dass es ja im selben Bett schläft, verheiratet ist und


ein Kind hat. Ein Feuerwehrhauptmann auf der Suche nach Bränden erscheint und erzählt sinnlose Anekdoten. Als Teil des Geschehens spielt auch eine Wanduhr verrückt. WIE ENDET DAS STÜCK? „Die


elf Szenen enden mit einem Streit, der aus Binsenweisheiten, Alliterationen und Stabreimen zusammengesetzt ist und in heraus geschrienen Vokalen und Konsonanten sowie dem chorisch


skandierten Satz "Es ist nicht dort, es ist da!" gipfelt“, schreibt „Reclams neuer Schauspielführer“. WAS HAT ES MIT DER „KAHLEN SÄNGERIN“ AUS DEM TITEL AUF SICH? Eine glatzköpfige


Sängerin kommt als Figur auf der Bühne nicht vor. Vielmehr gehört die Frage „Und was macht eigentlich die kahle Sängerin?“ zu den zusammenhanglosen Dialogen des Stücks. Die Antwort, die der


Feuerwehrhauptmann erhält, lautet: „Sie trägt immer noch die gleiche Frisur.“ WUSSTE IONESCO, WAS ER DA TAT? Kurz gesagt: nein. Nicht sofort. Autor Ionesco war Ende dreißig, als er 1948


„Die kahle Sängerin“ schrieb. Er bezeichnete sie als „Tragödie der Sprache“, beabsichtigte gar nicht, das Publikum zum Lachen zu bringen. Er verfasste sein erstes Drama eher aus dem Impuls


heraus, das damals übliche französische Konversationsstück zu kritisieren.  Dafür nahm er unter anderem Sätze aus einem Lehrbuch für Englisch (er lernte damals die Sprache). Er kombinierte


sie mit Fetzen aus dem eigenen Sprachgebrauch und war selbst von der „Wortleichen“-Anhäufung irgendwie deprimiert. Monatelang wollte das Stück niemand aufführen. Erst im Mai 1950 inszenierte


es der Regisseur Nicolas Bataille. WAS LÖSTE „DIE KAHLE SÄNGERIN“ AUS? Von den etwa 50 Plätzen im Pariser Uraufführungstheater waren anfangs oft nur wenige besetzt. Die Aufführung wurde


jedoch ein Geheimtipp im Nachkriegs-Paris, das damals der intellektuelle Hotspot Europas war. So etwas scheinbar Sinnfreies hatte man seit Dada nicht mehr erlebt.  Samuel Beckett, der


ebenfalls als Exilant in Paris lebte, ließ sich wohl von Ionescos Stück inspirieren und schrieb später „Warten auf Godot“. Ab Mitte der 50er wurde Ionesco zu einem Literatur-Star. Bis ins


hohe Alter blieb er produktiv, schrieb neben Dramen („Die Stühle“, „Die Nashörner“) auch Essays und Erzählungen. WAS WILL DAS THEATER DES ABSURDEN EIGENTLICH AUSDRÜCKEN? Die Figuren in „Die


kahle Sängerin“ reden sinnloses Zeug und wiederholen sich. Dialoge bestehen aus Floskeln, Beziehungen aus stumpfen Streitereien. Gezeigt wird die Absurdität von Kommunikation - humorvoll


skurril.  Als künstlerisches Mittel Unsinn vorzuführen, war eine Reaktion auf die Gräuel der Nazi-Zeit und des Zweiten Weltkriegs. Nachdem totalitäre Ideologien tödlichen Sinn verkündet


hatten, erschien es als Gegenmaßnahme sehr sinnvoll, die Sinnlosigkeit als einzig sinnvollen Daseinszustand zu behaupten.  WO LÄUFT „DIE KAHLE SÄNGERIN“ HEUTZUTAGE? Seit 1957 wird „La


Cantatrice chauve“ (so der Originaltitel) im kleinen Pariser Théâtre de la Huchette gespielt (es befindet sich im Quartier Latin - wie damals das Uraufführungstheater, das es heute nicht


mehr gibt). Aufführungen sind derzeit immer dienstags bis samstags um 19 Uhr (Dauer: eine Stunde).  Auf Spielplänen im deutschen Sprachraum gehört das Ionesco-Stück nicht zu den Top-Dramen


in der Werkstatistik. Es wurde jedoch in letzter Zeit etwa von Johan Simons am Schauspielhaus Bochum oder auch am Schauspielhaus Graz (übernommen vom Deutschen Theater Berlin) von Anita


Vulesica inszeniert. Vor ein paar Tagen hatte außerdem eine Inszenierung von Joachim Gottfried Goller an den Wuppertaler Bühnen Premiere. © dpa-infocom, dpa:250526-930-591503/2 _Das ist eine


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