Aus afd-gutachten wird parteiverbot? Irrtum! : die wichtigsten fragen und antworten zu einem verbotsverfahren

Aus afd-gutachten wird parteiverbot? Irrtum! : die wichtigsten fragen und antworten zu einem verbotsverfahren


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Das Verfassungsschutzgutachten zur AfD liegt vor – also ist es nur noch eine Formalie bis zum Parteiverbot? Die Realität sieht anders aus. So könnte es jetzt weitergehen. Manche


Voraussetzungen für ein Parteiverbot sind klar definiert – durch Recht und Gerichte. Andere sind nicht so klar, wie viele Menschen glauben. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:


AUS WELCHEM GRUND KANN EINE PARTEI ÜBERHAUPT VERBOTEN WERDEN? Die Autoren des Grundgesetzes haben vorgebaut – und in Artikel 21 definiert, aus welchen Gründen eine Partei verboten werden


kann. Da heißt es: „Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen


oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig.“ Was heißt das? „Die freiheitlich-demokratische Grundordnung definiert das Bundesverfassungsgericht


seit dem zweiten NPD-Verbotsverfahren durch die Menschenwürdegarantie, das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Das ist also relativ klar“, sagt Felix Hanschmann, der an der Bucerius Law


School eine Professur für die Grundlagen und Praxis des demokratischen Rechtsstaats innehat, im Gespräch mit dem Tagesspiegel. > Ich kann mir schwer vorstellen, dass eine Partei, deren 


Programm die > Menschenwürde angreift, nicht auch andere Elemente der > freiheitlichen demokratischen Grundordnung berührt. Was das genau bedeutet, sei ebenfalls definiert, so


Hanschmann: „Menschenwürde bedeutet die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität. Beim Demokratieprinzip muss es für alle Bürger die gleiche Möglichkeit politischer


Teilhabe geben. Beim Rechtsstaatsprinzip geht es um die Unabhängigkeit der Justiz und das staatliche Gewaltmonopol.“ MÜSSEN ALLE DREI PUNKTE ERFÜLLT SEIN? Bundesinnenminister Alexander


Dobrindt (CSU) erklärte kürzlich, das Verfassungsschutz-Gutachten beziehe sich vor allem auf die Frage, ob die AfD gegen das Prinzip der Menschenwürde verstößt. In einem Verbotsverfahren


müsse jedoch auch betrachtet werden, ob die Partei den Rechtsstaat und die Demokratie angreife. Dazu sage das Gutachten nichts. Das sieht Hanschmann anders: „Bislang gibt es noch keine


Rechtsprechung dazu, ob alle drei Elemente in gleicher Weise angegriffen werden müssen, ob das also alternativ oder kumulativ ist.“ Der Jura-Professor fügte hinzu: „Ich kann mir aber schwer


vorstellen, dass eine Partei, deren Programm die Menschenwürde angreift, nicht auch andere Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung berührt.“ Beispiel: „Wer etwa Menschen mit


einer bestimmten sexuellen oder ethnischen Identität diffamiert, wird auch Probleme mit dem Demokratieprinzip haben, das sich auf die Rechtsgleichheit aller Bürger bei politischer


Partizipation bezieht.“ WER KANN EIN VERBOTSVERFAHREN ANSTOSSEN? Das Bundesverfassungsgericht prüft nicht von sich aus – beantragen könnten das der Bundestag, der Bundesrat oder die


Bundesregierung, die dafür jeweils intern eine Mehrheit finden müssten. „Bei der Bundesregierung hieße das: die Mehrheit der Minister einschließlich des Bundeskanzlers“, sagt Hanschmann. Es


genügt, wenn eines der Organe einen entsprechenden Antragt stellt. Im Bundestag müssen sich mindestens fünf Prozent der Parlamentarier dafür aussprechen, dass das Thema überhaupt auf die


Tagesordnung kommt. Beschlossen würde der Antrag mit einfacher Mehrheit, also der Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen exklusive Enthaltungen. WIE LÄUFT DAS VERFAHREN AB? In Deutschland


kann nur das Bundesverfassungsgericht eine Partei verbieten. Es prüft nach Beantragung zunächst in einem Vorverfahren, ob ein Hauptverfahren eröffnet wird oder ob der Antrag unzulässig oder


nicht hinreichend begründet ist. Sieht das Gericht die Partei im Hauptverfahren als verfassungswidrig an, wird die Auflösung der Partei erklärt sowie ein Verbot, eine Ersatzorganisation zu


schaffen. Dazu müssen zwei Drittel der Mitglieder des Senats dafür stimmen. Zudem kann das Vermögen der Partei eingezogen werden. Die Verhandlung kann Jahre dauern. „Wenn nach einem Verbot


eine Ersatzorganisation gegründet wird, kann diese sofort wieder verboten werden“, sagt Hanschmann. REICHT ES, DASS EINE PARTEI SICH GEGEN DIE FREIHEITLICH-DEMOKRATISCHE GRUNDORDNUNG


AUSSPRICHT? Nein, das genügt nicht. „Eine Voraussetzung ist laut Bundesverfassungsgericht, dass die Partei aggressiv-kämpferisch vorgeht“, sagt Hanschmann. „Das erfordert nicht unbedingt den


Einsatz von Gewalt, aber die Bereitschaft zur Gewalt. Auch die Verbindungen zu entsprechenden Kreisen und Netzwerken, die über Waffen verfügen, zu Polizei, Militär oder radikalen Neonazis,


können wichtig sein.“ Hier wird ein Unterschied zwischen Gericht und Nachrichtendienst deutlich: „Im Verfassungsschutzgutachten erfährt man eher wenig darüber, da geht es viel um Verbalität


ohne explizite Gewaltaufrufe“, sagt der Jura-Professor. MEHR POLITIK SEHEN SIE HIER Wie sähe es zum Beispiel mit der chaotischen konstituierenden Sitzung des Thüringer Landtags aus, bei der


ein AfD-Alterspräsident erst vom Landesverfassungsgericht dazu verpflichtet werden musste, die Sitzung ordnungsgemäß zu leiten? Dabei könne man „von Obstruktion sprechen, die demokratische


Verfahren der Lächerlichkeit preisgeben sollte“, ordnete Hanschmann ein. „Das könnte das Bundesverfassungsgericht womöglich an die Schwelle des Aggressiv-Kämpferischen setzen.“ Wichtig ist


auch: Die Partei muss eine gewisse Aussicht haben, diese Ziele zu erreichen, darf also nicht vollkommen bedeutungslos sein. GIBT ES PRÄZEDENZFÄLLE? In zwei Fällen war ein solches Verfahren


erfolgreich: bei der nationalsozialistisch orientierten Sozialistischen Reichspartei 1952 und bei der stalinistischen Kommunistischen Partei Deutschlands 1956. Ein Verfahren gegen die


Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) scheiterte 2003. Ein wesentlicher Grund: V-Leute bis hin in die Führungsgremien der Partei. 2017 scheiterte ein zweites Verfahren erneut, weil


das Bundesverfassungsgericht Zweifel daran hatte, dass die NPD ihre verfassungsfeindlichen Ziele erreichen könnte. Wesentlich: „Aus dem Gutachten folgt definitiv kein Verbot“, sagt


Hanschmann. „Das Prüfprogramm des Bundesverfassungsgerichts ist ein anderes als beim Verfassungsschutz. Die Hürden sind höher als bei einer Einstufung, auch wenn es Schnittmengen gibt.“